The Egyptian (Varèse Club)

Alfred Newman / Bernard Herrmann

Varése Sarabande VCL 0711 1123

CD 1: 58:10 / 29 Tracks
CD 2: 59:10 / 25 Tracks

Limitiert auf 1500 Stk.

Als nach der LP-Einspielung unter der alleinigen Leitung von Alfred Newman und der Marco-Polo-Neuaufnahme von Morgan/Stromberg vor zehn Jahren erstmals die Filmversion von The Egyptian bei FSM erschien, war es fast schon ein Wunder, dass ein Grossteil davon noch veröffentlicht werden konnte, denn die Bänder waren in denkbar schlechtem Zustand, einiges unspielbar oder gerade noch einmal zu gebrauchen, um auf einem modernen Speichermedium gesichert werden zu können.

War man damals mehr als glücklich, dass wenigstes 72 Minuten dieses legendären Scores im Original für die Nachwelt erhalten wurden (wer sich die Mühe machen wollte, konnte sich aus den drei inhaltlich differierenden Veröffentlichungen ein rund 90-minütiges Programm zusammenbasteln), staunte wohl manch einer nicht schlecht, als Twilight Time kürzlich den prächtig restaurierten Film in 3000er-Editionen sowohl auf DVD als auch auf Blu-Ray herausbrachte, zu deren Sonderausstattung eine isolierte Musikspur gehört. Ebenfalls limitiert kommt nun von Varése – vielleicht nicht mehr ganz so unerwartet – eine Deluxe-Edition des über 100-minütigen Scores, was man selbst in Zeiten, wo das regelmässige Erscheinen auserlesener Klassiker längst zur Tagesordnung geworden ist, als kleinere Sensation bezeichnen kann.

Auf welch wundersame Fügung dieser Score in seiner kompletten Form plötzlich auftauchte, darüber schweigt sich das Booklet leider aus. Solche für den Filmmusikliebhaber faszinierende Details interessieren dessen Verfasserin Julie Kirgo offenbar nicht, denn sie konzentriert sich lieber auf die schon längst bekannten Umstände, wie es zur exklusiven Zusammenarbeit von zwei der grössten Komponisten des Golden Age kam, und ein wenig Klatsch und Tratsch im Zusammenhang mit Bella Darvi, die als seine neueste «Entdeckung» vom Produzenten Darryl F. Zanuck in den Film geschleust wurde, worauf der bereits als Sinuhe verpflichtete Marlon Brando die Produktion fluchtartig verliess.

An seine Stelle trat der etwas farblose Edmund Purdom, vielleicht gar keine so schlechte Wahl, denn wer hätte Brando schon abgenommen, dass er sich von der von Darvi mit schrecklichem polnischen Akzent dargestellten Edelhure Nefer um den Finger wickeln lässt, ihr mit Haut und Haaren verfällt und noch sein letztes Hemd verliert? Dies wirft den unablässig nach dem Sinn des Lebens suchenden Sinuhe – Mediziner aus einfachen Verhältnissen, der zum Leibarzt Echnatons (Michael Wilding) wird – vollends aus der Bahn, und erst der sterbende, von Selbstzweifeln geplagte Pharaoh, dessen philosophischer und friedfertiger Monotheismus nur von kurzer Dauer ist, öffnet ihm die Augen.

The Egyptian ist zwar prachtvolles Ausstattungskino, aber im Gegensatz zu anderen Monumentalfilmen legt er sein Gewicht nicht auf Schauwerte, sondern auf oftmals fast kammerspielartige Dialogszenen. Obwohl bei seinem Erscheinen nicht gerade mit Lobeshymnen bedacht, ist der Film deshalb aus heutiger Sicht geniessbarer, weil nicht ganz so oberflächlich wie manch vergleichbares Spektakel.

Dass sich primär aus Termingründen zwei oder mehrere Komponisten den Credit teilen – ob sichtbar oder nicht – ist in Hollywood zwar gang und gäbe, aber nirgendwo schlägt das Filmmusikherz höher als bei Alfred Newman und Bernard Herrmann. Dass sich der egozentrische und schwierige Herrmann überhaupt dazu hergab, erklärt sich aus dem Respekt gegenüber seines Förderes Newman, der seinerseits auch Herrmann hoch schätzte. Die Zusammenarbeit, die weniger Worte bedurfte, war relativ schnell geklärt: Newman gibt das thematische Material vor, die Musik beruht auf Pentatonik, jeder dirigiert seine Kompositionen selber, Herrmann übernimmt Sinuhes Kindheit, die zerstörerische Leidenschaft rund um Nefer, Dramatik und Action, Newman widmet sich dem Religiösen rund um Echnaton, dem Zeremoniellen und der selbstlosen Liebe Merits.

Warum sich die Komponisten in absoluter Höchstform zeigten und trotz völlig unterschiedlicher Personalstile eine gemeinsame Linie fanden, ist wohl dadurch zu erklären, dass sich jeder besonders am Riemen riss, um sich vor dem Kollegen nicht zu blamieren, und sich die beiden musikalisch näherten, indem sie die Charakteristiken des jeweils anderen ein wenig adaptierten. Das ist gleich zu Beginn des Scores evident, wo Herrmann in Prelude, The Ruins, The Red Sea And Childhood, The Nile And The Temple (letztere zwei Tracks fehlen auf der FSM) das antike Ägypten meisterhaft zum Leben erweckt und dabei Newman zum Verwechseln ähnlich klingt.

In seinem romantischen Herzstück Nefer Nefer Nefer (ebenfalls erstmals im Original zu hören) zeigt Herrmann subtil die zwei Gesichter der eigennützigen Verführerin, und in den folgenden Tracks, die Sinuhes steigende Besessenheit und Verzweiflung untermalen, kann sich der Komponist nicht mehr gross verleugnen. Herrmann pur sind dann dramatische Stücke wie The Chariot Ride/Pursuit, The Bracelet And The Helmet (auf keiner der anderen Veröffentlichungen zu finden), Violence, The Homecoming und Danse Macabre. Und Tracks wie The House Of The Dead, The Tomb und The Death Potion, die sich mit dem Tod auseinandersetzen, zeigen Herrmann von seiner gern und wirkungsvoll ausgelebten morbiden Seite.

Eine interessante Vergleichsmöglichkeit der unterschiedlichen Herangehensweise an den gleichen Charakter ergibt sich aus den elegischen Nefer’s Farewell und Nefer’s Return (wiederum eine Premiere); wo Herrmann mit Streichern und Holzbläsern das Thema klar definiert, verwendet Newman nur Streicher und variiert es. Womit wir zu Newman kommen. Die zweite weibliche Hauptfigur, Merit (Jean Simmons), liegt fest in seinen Händen, und er versieht sie mit einem lieblichen, orientalisch gefärbten Thema. Ein zunächst orchestral in Thebes erklingendes Motiv kann auch Kaptah (Peter Ustinov), dem selbsternannten, schlitzohrigen Diener Sinuhes zugeordnet werden, da dieser es mehrmals schlangenbeschwörerartig auf seiner Flöte spielt; ausgedehnter klingt die Melodie im hier erstmals veröffentlichten Kaptah an.

Ebenfalls Premiere feiern der exotische Tanz Nubian Drums und das kurze Death of Pharaoh mit mächtigen Gongschlägen, Trommeln und Klagegesang, der sich im anschliessenden Chant for Dead Pharaohfortsetzt. Kaptah’s Dilemma/The Garden (anderweitig nur auf dem LP-Programm als The Lotus Pool zu finden), verzaubert mit Kaptahs Thema in ornamentaler Bearbeitung und einer betörend-verführerisch summenden Frauenstimme. Ein Höhepunkt des Scores gelingt Newman mit Valley Of The Kings – ein Wendepunkt in Sinuhes Leben – wo die wichtigsten Themen wie Merit oder Theben/Kaptah zu einer längeren, selbstreflektierenden, aber auch die Lokalität berücksichtigenden Sequenz zusammengefügt werden.

Selbstverständlich ist der auf solche Klänge spezialisierte Newman auch für die religiöse Musik rund um den von Echnaton eingeführten Aton als alleiniger Gott zuständig. In Hymn To Aton wird ihm mit Lobgesängen feierlich und ehrfurchtsvoll gehuldigt, das schicksalshafte Death Of Merit läutet den Untergang seiner Herrschaft ein, und auch die tief empfundene Musik für Sinuhes wahre Liebe mit den von Newman gewohnten, warmen und intensiven Streichern findet hier ihr Ende. In leise trauernden Death Of Akhnaton resümiert der Komponist nochmals die spirituellen, mit dem Pharaoh assoziierten Themen, um danach mit triumphierenden und martialischen Fanfaren die Thronübernahme durch Sinuhes machtbesessenen Jugendfreund Horemheb (Victor Mature) zu verkünden. In Exile And Death schliesslich bringt Newman mit himmlisch anmutendem Chorgesang Sinuhe ans Ziel seiner rastlosen Suche.

So dankbar man Robert Townson für die definitive Veröffentlichung dieses Scores – der zu den Meilensteinen beider Komponisten und für mich zusammen mit Alex Norths Cleopatra zur Spitze altägyptischer Filmmusiken gehört – auch sein muss, so unverständlich ist die viel zu kleine Stückzahl, die dafür sorgte, dass diese Edition bei allen bekannten Anbietern schnell wieder von der Bildfläche verschwand (bei Colosseum ist sie zur Stunde noch vorrätig).

Zwar ist die tontechnisch nicht viel schlechtere FSM-Edition nach wie vor erhältlich und selbst für Schonbesitzer vor allem des Booklets wegen behaltenswert, doch fehlen ihr inhaltlich doch ein paar essenzielle Stücke. Die Morgan/Stromberg-Version trumpft natürlich klanglich auf und ist mittlerweile als preisgünstige Naxos-Wiederveröffentlichung zu haben, hinkt aber dem Original interpretatorisch hinterher. Die 1990er-Varése-CD mit der Reproduktion des hervorragenden LP-Schnitts hat zwar nach wie vor einen nicht zu unterschätzenden Wert, ist aber leider kaum mehr zu finden.

Für was man sich aber auch entscheidet – wenn man denn die Möglichkeit hat – in zumindest einer Fassung sollte dieser historische Score in jeder Sammlung stehen.

Andi, 22.8.2011