Sodom and Gomorrah (Prometheus)

Gerne vergisst man, dass Miklós Rózsa nach dem wahrscheinlich grandiosesten Hattrick der Filmmusikgeschichte (Ben-Hur, King of Kings, El Cid) mit Sodom and Gomorrah gleich noch einen draufsetzte. Das mag vor allem an der ziemlich trashigen, nur sehr lose auf dem Alten Testament basierenden Bibelverfilmung liegen, bei der Robert Aldrich ‒ normalerweise eine sichere Bank auf dem Regiestuhl ‒ nicht seinen besten Tag hatte, wie er später selber zugeben musste, als er den Film «schrecklich» nannte. Auch der Komponist konnte der Produktion kaum etwas Positives abgewinnen, bezeichnete sie als «eine Parodie auf das Genre», aber Rózsa wäre nicht Rózsa gewesen, hätte er nicht trotzdem alles dafür gegeben, um den Streifen wenigstens mit seiner Musik aufzuwerten.

Veröffentlichungen dieses Scores gab es im Laufe der Jahre einige, aber klanglich waren die meisten davon mehr oder weniger grenzwertig, und komplett ‒ auch wenn die Liner-Notes der Digitmovies- Doppel-CD von 2007 dies behauptete ‒ war bisher überhaupt noch keine. Was lag also näher, als dass sich die mittlerweile Rózsa-erprobte und -bewährte Truppe rund um den umtriebigen Produzenten James Fitzpatrick für eine Neueinspielung zusammentat, um diese Defizite ‒ wenn man sie denn als solche bezeichnen will ‒ ein für alle Mal aus der Welt zu räumen. Und es gelingt ihnen, die Musik dergestalt zu präsentieren, dass sie so manchen Sammler den Stellenwert von Sodom and Gomorrah neu überdenken lassen dürfte.

Eröffnet wird das Programm mit dem gefühlvollen Theme and Answer to a Dream; ein Stück, das Rózsa eigens für das 1963 erschienene MGM-Album «Great Movie Themes composed by Miklós Rózsa» arrangierte. Es besteht aus den beiden erlesenen Liebesthemen des Filmes, welche für Lot und seine Frau Ildith sowie für den Sodomiter-Prinzen Astaroth und Lots Tochter Shuah bestimmt sind. Beide sind ‒ besonders wenn sie in Holzbläser-Soli erklingen ‒ von vollendeter, lyrischer Schönheit und können locker mit den besten Liebesthemen aus der Feder des Komponisten mithalten.

Auch für die Hebräer gibt es zwei Themen. Das erste ist von einer antiken Melodie inspiriert, die Rózsa in der Sammlung des jüdischen Musikforschers Abraham Zvi Idelsohn fand, das zweite ein Marsch, der den kriegerischen Aktivitäten der Hebräer Rechnung trägt. Ebenfalls einen Marsch, in diesem Fall ein ziemlich archaischer, kreierte Rózsa für das alte Wüstenvolk der Elamiter. Und last but not least das düstere, oft mahnend und schicksalsschwer daherkommende Thema für Sodom, das nicht nur die Stadt, sondern auch deren ruchlose Königin repräsentiert. Diese Themen bilden das dramatische Grundgerüst des Scores und werden, wie von Rózsa nicht anders zu erwarten, äusserst vielfältig verarbeitet und auf die Bedürfnisse des Films abgestimmt.

Im Gegensatz zu vergleichbaren Werken Rózsas ist das Religiöse in Sodom and Gomorrah nicht sonderlich stark ausgeprägt, zumindest was den Einsatz von Chören betrifft, auch wenn es das wie im Fall des andächtigen Messengers of Jehovah durchaus auch gibt. Ansonsten sind die Gesänge von Männer- Frauen- und verspielten Kinderchören mehrheitlich folkloristischer Natur, denn wie gewohnt bei solchen Stoffen streut der Komponist zur Auflockerung immer wieder möglichst authentisch wirkende Source-Musik ein, die in diesem Fall dem antiken Mittleren Osten nachempfunden ist und nebst den Chören aus einfachen, oft von Solisten dargebrachten Melodien und verführerischen, orientalischen Tänzen besteht.

Nebst dem infernalischen The Destruction of Sodom ist ein zweiter dramaturgischer Glanzpunkt besonders hervorzuheben: Battle of the Dam. Da die bisherigen Veröffentlichungen nur etwa ein Drittel dieser spektakulären, rund viertelstündigen Sequenz enthielten, ist das opulente, rhythmusgeprägte Schlachtgemälde, wo die Themen der Hebräer und Elamiter schonungslos und mit aller Gewalt aufeinanderprallen, nun erstmals in seiner vollen Länge zu geniessen; was für ein Festschmaus für alle, die Rózsa im Action-Modus mögen. Die schiere Wucht, die von diesem Track ausgeht, macht ihn unweigerlich zum Höhepunkt des ansonsten schon sehr attraktiven und reichhaltigen Scores.

Speziell für dieses Album arrangierte Leigh Phillips eine Konzertversion von Answer to a Dream für die Konzertmeisterin der Prager Philharmoniker, Lucie Svehlova, die sich schon in anderen Tadlow-Produktionen als Solo-Violinistin hervortat. Mit ihrem sensiblen und verträumten Spiel sorgt sie für einen besinnlichen Ausklang nach über zwei Stunden Filmmusik auf sehr hohem Niveau.

Mit Sodom and Gomorrah ist Prometheus/Tadlow eine weitere, erstklassige Rózsa-Neueinspielung gelungen. Dass man sich entgegen Fitzpatricks sonstiger Gewohnheit nicht sklavisch an die Tempi der Filmeinspielung hielt, ist völlig unerheblich, denn bei einer Musik, die so für sich spricht wie diese, zählen andere Qualitäten. Und die muss man hier nicht lange suchen. Auch wenn der Score gerade im Vergleich zu eingangs erwähnten, drei Grossen ein wenig abfallen mag, verdient er dank seiner angesichts der Vorlage erstaunlichen Kreativität trotzdem die Höchstnote. Und wenn man bedenkt, dass dies der letzte Rózsa epischen Ausmasses ist, bedauert man es, dass es zu keinen weiteren mehr gekommen ist. Was die Frage nach sich zieht: warum musste der Monumentalfilm aus der Mode kommen, als Miklós Rózsa noch aktiv war?

Andi, 11.12.2015

 

SODOM AND GOMORRAH

Miklós Rózsa

Prometheus Records / Tadlow Music XPCD 178

CD 1: 68:25 / 23 Tracks

CD 2: 68:44 / 18 Tracks