Phils komprimierte 41

Schlicht wunderbares Kino ist GOODBYE CHRISTOPHER ROBIN, einer der beiden Filme über den Kinderbuchautor A.A. Milne, dem Erschaffer von Pu der Bär, die fast zeitgleich herauskamen. Der Andere, CHRISTOPHER ROBIN (was noch mehr zur Verwechslung beiträgt), mit Ewan McGregor spielt zu einem späteren Zeitpunkt im Leben des Schriftstellers. Doch zurück zum Film von Simon Curtis: Dieser beschreibt wie es in der schwierigen Zeit nach dem ersten Weltkrieg zu «Pu der Bär» (Whinnie the Pooh) und seinen Gesellen kam und wie sich das auf die Beziehung zu Milnes Sohn Christopher Robin auswirkte. Von Ben Smithard (THE SECOND BEST MARIGOLD HOTEL) in magische Bilder umgesetzt, spielen Domhnall Gleeson (der General Hux in STAR WARS VII und VIII), Margot Robbie und Kelly McDonald in diesem schönen und nachdenklich stimmenden Film.
Musikalisch wirkte Carter Burwell, was bestens herauszuhören ist, der Burwell-Stil eben. Der Score ist zurückhaltend, manchmal bezaubernd und unschuldig. Eine einstündige CD ist bei Sony Classical erschienen.

Erscheinungsdatum: 18.10.2018


John Currans CHAPPAQUIDDICK (5x ganz fix nacheinander runterleiern!) bezieht ziemlich klar Stellung: Senator Edward Kennedy (Jason Clark) ist schuld am Tod seiner Beifahrerin (Kate Mara) bei dem mysteriösen Unfall, der sich auf Chappaquiddick, einem Teil von Martha’s Vineyard (wo JAWS gedreht wurde) ereignet hat. Just zu jenem Zeitpunkt als Ed Kennedy plante ins Rennen um die Präsidentschaft einzusteigen. Erst am darauffolgenden Morgen meldete er den Unfall der Polizei, als das Krisenmanagement bereits auf den Plan getreten war und versuchte die Geschehnisse möglichst zielsicher und nicht immer ganz präzise der Öffentlichkeit zu präsentieren. Curran und seine Autoren lassen kaum ein gutes Haar an Kennedy, seinem Vater, gespielt von Bruce Dern, und der Vertuschungsmaschinerie, angeführt vom ehemaligen Aussenminister Robert McNamara. Die Sichtweise ist verführerisch, nicht nur in der heutigen, populistischen Zeit. Wenn der Stoff auch gut für einen 3-Stünder gewesen wäre, so präsentiert sich der Film mit seinen 107 Minuten recht straff und zügig. Ein spannendes, wenn auch nicht überragendes Werk über ein in unseren Breitengraden wenig bekanntes Ereignis (das übrigens wesentlich freier in BLOW OUT von Brian DePalma mit John Travolta verfilmt wurde).

Erscheinungsdatum: 5.9.2018



7 DAYS IN ENTEBBE lässt die Entführung einer Air France Maschine 1976 wiederaufleben, die in einer gewagten Rettungsmission durch ein israelisches Sonderkommando mündete. Rosamund Pike spielt an der Seite von Daniel Brühl in diesem Film von José Padilha (ROBOCOP 2014), der parallel geschnitten an Bord des Flugzeugs, dann in Uganda und in Israel spielt. Durch die vielen Charaktere, die Padilha einführt, von den deutschen Entführern über die Geiseln, die israelische Regierung, die Kommandoeinheit bis hin zum ugandischen Machthaber Idi Amin, wirkt der Film sprunghaft, wichtige Dialoge kurz und knapp zu präsentieren hilft dem Film ebenfalls nicht. Interessanter wäre es gewesen, den politischen Teil detaillierter aufzuzeigen (Politthriller) oder sich auf das Kommando zu konzentrieren (à la MUNICH). Wenn man sich während eines Films mit mässig gelungenem Make-Up, schlechten Perücken, anachronistischen Fehlern wie Winglets am Airbus oder einem Sea King Helikopter, den Israel nie besass, beschäftigt, ist das meist kein gutes Zeichen.

Erscheinungsdatum: 13.9.2018



In den letzten Monaten war anlässlich der 100. Jahrfeier zum Ende des 1. Weltkriegs die Thematik in Fernsehen und Presse äusserst prominent. Leider unter dem Radar geblieben ist der hervorragende Antikriegsfilm JOURNEY’S END von Saul Dibb (THE DUCHESS), der den Einsatz einer Britischen Kompanie kurz vor der Kaiserschlacht des Frühlings 1918 beschreibt. Der junge Lieutenant Raleigh (Asa Butterfield) stösst zur Kompanie, die vom desillusionierten Captain Stanhope (Sam Claflin) und seiner Nr. 1, Lieutenant Osborne (Paul Bettany), angeführt wird. Stanhope war in Raleighs Jugendjahren eine wichtige Person, zu der er aufsah, doch er ist nicht mehr der Mann, der er einst war.
JOURNEY’S END ist weder heldenhafter Kriegsfilm noch ein actionreiches Schlachtenspektakel. Der Film konzentriert sich auf das Grauen eines hoffnungslosen, unendlich dauernden Krieges, in dem Abertausende scheinbar planlos in den Tod geschickt und Fronteinsätze, die nur wenige Tage dauern, nie endend und traumatisch wurden. Der Film basiert auf einem Theaterstück, das in den 1920er Jahren aufgeführt wurde und dieses Kammerstück artige ist JOURNEY’S END anzumerken. Dazu benötigt es tolle Schauspieler, die Dibb für seinen Film versammeln konnte. Allen voran sind es Bettany, Claflin und Steven Graham, die erstklassig spielen in einem kraftvollen, bewegenden Streifen, der sich einreiht in grosse Werke wie ALL NEW ON THE WESTERN FRONT und PATHS OF GLORY.
Musikalisch sind hier die Cellistin Hildur Gudnadóttir, die Fans aus ihrer Zusammenarbeit mit Jóhann Jóhannsson ein Begriff sein dürfte, sowie die Violinistin Natalie Holt zu Gange. Leider ist für die zurückhaltende Musik zu diesem tollen Film bisher kein Album erschienen.

Erscheinungsdatum: in Grossbritannien bereits erschienen



Fast alle Filme von Joel und Ethan Coen fühlen sich irgendwie wie Western an – natürlich immer mit dem typischen Coen Einschlag: schräg, originell, speziell – nicht erst seit TRUE GRIT, bisher der einzige «richtige» Wild West Film der Brüder und ein ganz hervorragender dazu. Mit THE BALLAD OF BUSTER SCRUGGS beschreiten die Coens neue Wege, als dass dieser Film von und für Netflix produziert wurde und, kleiner Wermutstropfen, ihr erster Film auf nicht analogem Filmmaterial wurde. Der Vorteil ist eine grandiose Bildqualität in 4K, dennoch, nichts kommt an die Tiefe und die Wärme des guten alten Analogfilms heran.
BUSTER SCRUGGS ist ein Film aus sechs unabhängigen, abgeschlossenen Episoden bestehend, mal total schräg (Segment «Ballad of Buster Scruggs»), grotesk («Meal Ticket»), kauzig («All Gold Canyon»), richtig fies («The Gal Who Got Rattled») oder beinahe von Twilight Zone’schem Einschlag («The Mortal Remains»), eigentlich alle aber wunderbar schwarzhumorig und nicht ohne die bei den Coens gern verwendete «Blutrünstigkeit». Wie wir wissen haben solche Episodenfilme im Kino nur mässiges Anziehungspotential (siehe TWILIGHT ZONE THE MOVIE, AMAZING STORIES, der es bei uns mit vier TV-Episoden als Kinoerlebnis versuchte, THE ILLUSTRATED MAN) und so ist der Gang zu Netflix durchaus nachvollziehbar, obschon BUSTER SCRUGGS auch in wenigen US-Kinos zu sehen war – und sich so auch für die Oscars empfehlen könnte. Die 133 Minuten vergehen jedenfalls wie im Flug, auch dank feiner Besetzung mit Tom Waits, Liam Neeson, Brendan Gleeson etc.
Eine besondere Aufgabe kam Carter Burwell zuteil, der zu jedem Segment eine eigene Musik beisteuerte, heraus kam eine wundervolle Filmmusik, die sich trotz der unabhängigen Episoden prächtig anhört. Als Hörbeispiel sei der Track «The End of Buster Scruggs» empfohlen. Die CD zu BUSTER SCRUGGS ist Ende November bei Milan erschienen.

Erscheinungsdatum: Zu sehen auf Netflix



BLACK 47 spielt Mitte des 19. Jahrhunderts während der Hungersnot in Irland und erzählt von Martin Freeway, der desillusioniert aus dem Krieg in Afghanistan nach Hause kehrt und nur noch seine Schwägerin und die Nichte vorfindet, die kurz darauf ebenfalls den Tod finden. Freeway will Rache nehmen an den englischen Kolonialherren, die für Not und Elend auf der grünen Insel mitverantwortlich sind. Neben Hugo Weaving (Elrond, LORD OF THE RINGS) sind in diesem blutigen Rachethriller James Frecheville (THE DROP) und in einer kleinen Rolle Jim Broadbent (Fans kennen ihn als Professor Horace Slughorn) zu sehen. Trotzdem kommt der Film nicht über die 08/15 Formel «ich kille euch alle» hinaus, bleibt recht oberflächlich und schafft es nicht, die Tragödie, die damals 1 Million Iren das Leben kostete, genügend zu beleuchten, vielleicht, das sei ihm zu Gute zu halten, war das auch nicht die Absicht von Lance Dalys Film. Brian Byrne taucht seine Musik in irische Farben, vor allem der Anfang hat einen Hauch BRAVEHEART (ja, tatsächlich).

Erscheinungsdatum: 14.12.2018



Phil, 17.12.2018