Dark Phoenix

Hans Zimmer ist zurück mit neuer Filmmusik! Nicht, dass es um den Hollywood-Tausendsassa jemals ruhig gewesen wäre, doch machte er in den letzten Jahren mehr mit seinen weltweiten Konzerttourneen als mit Solo-Arbeiten im Filmmusikbereich von sich Reden. Kurzer Rückblick: im Dezember 2018 lieferte er einen dunklen, minimalistischen Score für das Thriller-Drama WIDOWS ab (auf CD waren rund 20 Minuten seiner Musik zu hören); im Oktober 2017 spannte er mit Benjamin Wallfisch für BLADE RUNNER 2049 zusammen und im selben Jahr im Juli erschien seine Klangeffekte-Kreation für DUNKIRK; dazwischen steuerte er hin und wieder Themen zu Filmen und TV-Shows bei oder fungierte als Musikproduzent. Meinem Empfinden nach rauschten diese Arbeiten jedoch einfach vorbei, ohne einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben. Die letzte wirklich unterhaltsame (fast Solo-) Arbeit von Zimmer war KUNG FU PANDA 3 im Jahr 2016 – meiner Meinung nach –, und das ist nun doch ein Weilchen her. Mit DARK PHOENIX kriegen wir nun jedoch wieder einen etwas «deftigeren» Zimmer-Score zu hören, der stellenweise klotzt statt kleckert. Auch hier gibt es viele atmosphärische Momente, doch Zimmer lässt auch dunkle Blech-Fanfaren erklingen, die an sein Schaffen während den 1990er Jahren erinnern, mischt epischen Chor und Sologesang bei, begleitet von stroboskopartigen Elektro-Rhythmen und Streicher-Arpeggios. Nichts davon ist in den Einzelteilen wirklich neu, aber im Zusammenspiel ist es allemal viel unterhaltsamer als alle vorgenannten Arbeiten der letzten Jahre. Da will man auch gerne mehrmals hinhören.

Mit DARK PHOENIX ist Hans Zimmer entgegen allen Erwartungen ins Comic-Helden-Genre zurückgekehrt. Dies, obwohl er nach seiner Arbeit zusammen mit Junkie XL an BATMAN V SUPERMAN: DAWN OF JUSTICE (2016) verlauten liess, dass er künftig keine Superhelden-Filme mehr vertonen wolle. In einem Interview mit dem Collider im September 2018 meinte er zu seiner «Helden-Rückkehr», dass er nach BATMAN V SUPERMAN keine Ideen mehr für Superhelden-Filmmusik gehabt habe und sich daher von diesem Genre distanzieren wollte. Doch sein Kollege Ron Howard (Regisseur) habe ihm dargelegt, dass in der Regel nicht das Genre das Problem sei, sondern dass er einfach wieder Mal auf einen Comic-Helden-Film warten müsse, der eine Geschichte erzähle, die ihn inspiriere. Und dies soll mit DARK PHOENIX nun offenbar der Fall gewesen sein – dass der Film selbst fast durchgehende schlechte Kritiken erntete und an den Kinokassen enttäuschte, macht diese Aussage zwar etwas kurios. Wurde ein gutes Drehbuch mit toller Geschichte schlecht umgesetzt und «zerschnitten»? Who knows… jedenfalls liest sich die Synopsis des Star-Vehikels schonmal recht absurd:

Im Jahr 1992, zehn Jahre nachdem die X-Men-Truppe den Bösewicht Apocalypse vernichtet hat (X-MEN: APOCALYPSE (2016) mit einer gelungenen Filmmusik von John Ottman), können die Mutanten als Helden bejubelt unter den Normalsterblichen leben. Doch ein neuer Auftrag führt sie schon bald ins Weltall und dort erfasst eine unheimliche Energie aus einer kosmischen Wolke die Mutantin Jean Grey (Sophie Turner). Diese besitzt darauf hin neue, nie dagewesene und konkurrenzlose Superkräfte, die sie immer weniger unter Kontrolle hat, je mehr sich ihr verborgene Geheimnisse aus ihrer Kindheit eröffnen. Sie wird zur Gefahr für die anderen Mutanten, die ihr zu helfen versuchen, und sie gerät ins Visier ausserirdischer Wesen…

Die Filmmusik von Hans Zimmer zählt zu den wenigen positiven Aspekten des Films. Und sie bietet auch in Albumform abseits der Filmbilder viele kurzweilig Unterhaltungsmomente, wobei Sie mit den bisherigen X-MEN-Musikideen von John Ottman, Michael Kamen und John Powell gänzlich bricht. Wie erwähnt lässt Zimmer hier Stilismen aus seinen 1990er-Jahre-Arbeiten durchschimmern – die epischen, selbstsicher wuchtigen Bläser-Themen und Gitarren-Riffs bilden zusammen mit dem hyperaktiven Elektro-Pulsieren und mit Streicher-Arpeggios einen Cocktail, der aufhorchen lässt und Spass macht. Hiervon kriegt der Hörer sogleich im ersten Stück, das 8-minütige «Gap», eine volle Dröhnung: nach der einminütigen, fast unhörbar leise pulsierenden Eröffnung (man denkt sich sogleich, «nicht schon wieder…!»), beginnt Zimmer mit Gitarre und Klavier das Stück «hochzuschaukeln», bis es sich im Hauptthema mit Stroboskop-Hyperaktivität entlädt. Am Ende dieses Stückes erhält der Hörer zudem eine erste Kostprobe des Chorgesangs. «Gap» ist gelungen und ordnet sich bezüglich der Tonalität irgendwo zwischen INCEPTION (2010), CHAPPIE (2015) und PEACEMAKER/BROKEN ARROW-Action-Hymnen ein. Dazu zum Abrunden der erste Choreinsatz – aggressiv, bedrohlich à la ANGELS & DEMONS (2009)/KING ARTHUR (2004), einfach langsamer, schwerfälliger. Mit «Dark» folgt ein ruhigeres Stück, in dem Zimmer sogleich ein nächstes Element seiner Musik präsentiert – ein wortloser Sologesang (eines Knaben), ruhig und mysteriös. Wollte man auch hierzu einen Bezugspunkt aus Zimmers früherem Schaffen ziehen, dann wohl ähnliche Gesangseinlagen im DA VINCI CODE (2006). Damit sind die prägnanten Hauptelemente des Scores eingeführt. Die hier erwähnten Referenzen zu älteren Arbeiten Zimmers sollen nicht suggerieren, dass Zimmer hier lediglich alten Wein in neuen Schläuchen präsentiert. Es soll lediglich versucht werden, vom Klang von DARK PHOENIX eine Idee zu vermitteln. Zudem ist es Beleg dafür, dass hier definitiv wieder ein vielfältigerer Zimmer am Werk ist, als jener von DUNKIRK oder BLADE RUNNER 2049.

Was nach «Gap» und «Dark» folgt, sind acht weitere, allesamt mehrheitlich lange Stücke – die Albumpräsentation als solches soll auch Lob erhalten, denn die wenigen langen Stücke ermöglichen Raum für den Aufbau der jeweiligen Musikideen, was für diese Art von stellenweise hypnotischen Klangkreationen ein Plus ist, auch wenn es handkehrum in Längen resultiert. Während der gesamten Albumlaufzeit schleichen sich leider immer mal wieder rein atmosphärische, weniger interessante Momente ein, wie während «Amity», «Deletion» und «Insertion» und die Musik verharrt auch in den genannten Hauptideen, womit sich nach «Gap» und «Dark» keine weiteren wirklich neuen Ideen einstellen – so ist es hier kaum möglich, während des Hörens des Albums zu sagen, in welchem Track man sich aktuell grad befindet. Lediglich das abschliessende «Coda» gibt gegen Ende die Boxen frei für melancholischere, versöhnlichere Töne, die an «Time» aus INCEPTION und DA VINCI CODE erinnern. Mit DARK PHOENIX meldet sich Hans Zimmer erfreulicherweise wieder mal mit einem «lebhafteren» Score zurück, der mit prägnanten thematischen Ideen aufwartet und dank einigen Action-Tempomachern vermehrt Spass macht. Zudem sorgt der Retro-90er-Vibe für Schmunzeln und macht Lust, sich wieder mal ein paar alte Haudegen-Klassiker von ihm anzuhören – BROKEN ARROW, THE PEACEMAKER. In diesen Reigen kann sich DARK PHOENIX zwar nicht einreihen – tempi passati –, aber der Unterhaltungswert ist so hoch, dass man sich das Album gerne mehrmals anhört und man auch den weiteren in Aussicht stehenden Zimmer-Arbeiten – u.a. WONDER WOMAN 1984 (2020) und TOP GUN: MAVERICK (2020) – mit Interesse entgegenschaut. Mit dem Programmieren der Stücke «Gap», «Dark», «Frameshift», «Insertion» und «Coda» kann man sich eine komprimiertere Version mit einer Laufzeit von gut 30 Minuten zusammenstellen.

Basil, 14.6.2019

DARK PHOENIX

Hans Zimmer

Fox Music

67:55 Min.
10 Tracks