The Children’s Hour

Alex North

Kritzerland KR 20014-4

35:02 Min. / 20 Tracks

Limitiert auf 1000 Stk.

Gleich zweimal verfilmte William Wyler Lillian Hellman’s Theaterstück The Children’s Hour. Während die erste Version von 1936 aus Zensurgründen in These Three umgetauft wurde, firmiert das Remake aus dem Jahre 1961 unter dem Originaltitel. Der mit Audrey Hepburn, Shirley MacLaine und James Garner attraktiv besetzte Film handelt von zwei Lehrerinnen, die eine Mädchenschule betreiben und von einer Schülerin bezichtigt werden, eine Liebesbeziehung zu führen. Diese auf böswilligen Vemutungen beruhende Anschuldigung hat weitreichende Konsequenzen für alle Beteiligten.

Wyler hatte bezüglich seiner Komponisten meist eine glückliche Hand und holte das Beste aus ihnen heraus, man denke nur an The Best Years Of Our Lifes, The Big Country oder Ben Hur. The Children’s Hour ist da keine Ausnahme, handelt es sich doch um eine qualitativ hochstehende Arbeit aus der Feder von Alex North. Eine Tatsache, die sich anhand des Films nicht unbedingt erschliesst, ist doch ein beträchtlicher Teil der Musik – besonders während Dialogszenen – sehr leise abgemischt und kann daher nicht in angemessener Weise gewürdigt werden. Dem schafft diese CD aus dem Hause Kritzerland nun glücklicherweise Abhilfe.

North’s Score ist im Wesentlichen auf drei Themen aufgebaut. Das wichtigste und auf verschiedenen Ebenen funktionierende ist jenes für Martha (MacLaine), das zunächst ebenbürtige, dann aber schnell an Bedeutung verlierende Liebesthema für Karen (Hepburn) und Joe (Garner), sowie das ebenso verspielte wie irrationale, auf «Skip To My Lou» basierende Thema für die intrigierende Schülerin Mary. Letzteres hätte im Sinne des Komponisten im Main Title erklingen sollen und nicht nur visuell besser gepasst, sondern wäre als Keim des Bösen auch dem dramatischen Aufbau des Scores förderlicher gewesen. Die Studiobosse jedoch wollten es anders, und deshalb wird der Film mit dem doch etwas deplatzierten Haupt- resp. Martha-Thema eröffnet. Zu Recht verbannte Bruce Kimmel die Filmversion in die Bonussektion seiner CD und reinstallierte stattdessen das Original.

Einmal mehr erweist sich North bei The Children’s Hour als Meister durchdachter psychologischer Filmmusik. Repräsentiert das emotional Haken schlagende «Skip To My Lou» – das da und dort mit einem nach Verständnis ringenden Martha Theme kollidiert – die moderne, dissonante Seite des Komponisten, die bei den atonalen Tracks Gossipund Results am konsequentesten durchgezogen wird, ist der gefühlsbetonte Bereich, mit Gewicht auf Streicher und Holzbläser, konventioneller gehalten. Wie schon erwähnt, erweist sich Martha als Zentralcharakter des Filmes, und wie uns North an ihrer Zerissenheit, die von sehnsuchtsvoller Liebe über Schuldbewusstsein bis hin zu blanker Verzweiflung reicht, teilhaben lässt, ist schlicht grossartig. Das suizidale Realization etwa, mit herzzerreissenden Violinsoli und leichten Blues-Harmonien im Blech dürfte garantiert niemanden kalt lassen.

Während sich bei Martha die fatalen Gerüchte schlussendlich als wahr erweisen, bleibt die Frage offen, ob dies bezüglich Karen auf Einseitigkeit beruht. North’s originaler End Title lässt eigentlich nur eine Schlussfolgerung zu, da er den Film mit Martha’s Thema ausklingen lässt. Möglich, dass die Produzenten deswegen kalte Füsse bekamen und eine unanstössigere Lösung forderten. So überarbeitete North das Finale mit Karen’s «Hetero»-Liebesthema, welches angesichts der Ereignisse viel zu pompös endet und daher aufgesetzt wirkt. Aufgeweckte Zuhörer werden dies durchschauen, was durchaus die Absicht des Komponisten gewesen sein mag. Kimmel traf auch hier die richtige Wahl fürs Hauptprogramm.

The Children’s Hour ist eine echte Entdeckung. Trotz relativ kurzer Spielzeit ist er dank seiner Dichte und Intensität aussagekräftiger als so mancher Score von doppelter oder dreifacher Länge. Mit jedem Hördurchgang zieht er einen tiefer in seinen Bann, und man ist gerne bereit, ihn laufend höher zu bewerten. Diese Erfahrung habe zumindest ich gemacht. Wollte ich anfänglich eine 4 vergeben, schien mir bald die 4.5 nicht unangebracht, und inzwischen halte ich selbst die Höchstnote für gerechtfertigt. Der Score ist auf jeden Fall eine klare Empfehlung für alle North-Fans und solche, die es werden wollen. So man ihn den noch kriegen kann. Bei Kritzerland ist er schon seit geraumer Zeit ausverkauft, andere Anbieter mögen noch kleine Restbestände haben.

Andi, 27.1.2010