Werk ohne Autor

Das Epos WERK OHNE AUTOR (2018) von Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck ist erschlagend. Währen nicht zu knappen 188 Minuten erzählt von Donnersmarck die Geschichte des jungen Malers Kurt Barnert – von dessen Kindheit in den späten 1930er Jahren bin hin in die 1960er Jahre; sprich, über einen Zeitraum von 30 Jahren. In der Hauptfigur Barnert verwebt von Donnersmarck Anleihen aus dem Leben des berühmten deutschen Malers, Bildhauers und Fotografen Gerhard Richter (*1932) mit Fiktion. Zudem findet die Handlung vor einem sehr bewegten Zeitfenster der Deutschen Geschichte statt – von der Nationalsozialistischen Diktatur hinein in die 1949 gegründete Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik (DDR). Der Film wurde an den Filmfestspielen in Venedig preisgekrönt und zählte zu den Nominierten in der Oscar-Kategorie «Bester ausländischer Film». Damit wandelt von Donnersmarck definitiv wieder auf den Spuren seines Spielfilmdebüts DAS LEBEN DER ANDEREN (2006) – für den er den Oscar erhalten hatte. Während dieses ebenfalls tiefgründige Drama indes international vom Publikum und von den Kritikern gefeiert wurde, wird WERK OHNE AUTOR zumindest hierzulande kontroverser aufgenommen. Die «Neue Zürcher Zeitung» lies dem Film gar einen 1-Sterne-Komplettverriss zukommen. Die internationale Presse hingegen spricht WERK OHNE AUTOR direkt oder indirekt Meisterwerk-Status zu. Ob einem der Film gefällt oder nicht, hängt wohl letztlich davon ab, ob man sich mit dem «freien Umgang» der Biografie und des Schaffens von Gerhard Richter arrangieren kann – für manche scheinbar ein Sakrileg, darunter die Autorin der NZZ-Kritik – und ob man gewillt ist, sich während drei Stunden bedrückender Historie, Kunststudie und menschlichem Drama aussetzen zu wollen. Was den einen zu sehr aufs Gemüt schlagen dürfte, wird andere faszinieren. Ähnliches kann auch über die Filmmusik von Max Richter gesagt werden. Auch er breitet sein musikalisches Portrait von WERK OHNE AUTOR während einer Laufzeit von gut 70 Minuten gemächlich aus, wobei die Tonalität der Musik über weite Strecken einen träumerischen und luftigen Charakter hat, womit sie wesentlich leichter zugänglich ist als der Film.

Die Musik von Max Richter benötigt in der Regel viel Zeit und Musse, um diese zu ergründen. Schlicht deswegen, weil er selten mit eingängigen Themen, Aufmerksamkeit erheischendem Bombast oder spritziger Dynamik aufwartet und damit den Hörer von der ersten Minute weg mitreisst. Richters Musik ist oftmals atmosphärisch, minimalistisch und daher abseits der Bilder emotional zurückhaltend – die positiven Kundenbewertungen in Online-Stores deklarieren seine Musik nicht zu knapp explizit als angenehme Hintergrundmusik; Musik, die sich nicht aufdrängt, ideal zum Entspannen ist und während dem Arbeiten und Lesen gehört werden kann. Diese Eigenschaft wohnt vielen Richter-Werken inne – zurückhaltend, indirekt kommentierend, introvertiert, träumerisch. Seine Filmmusik für das Historiendrama MARY QUEEN OF SCOTS (2018), das nur wenig Monate vor WERK OHNE AUTOR veröffentlicht wurde, ist mit einem prägnanten Thema und opulenter Orchestrierung eine markante Ausnahme geworden. Diese Musik war denn auch auffällig häufiger Gegenstand von Alben-Besprechungen und sie schaffte es, in weiteren Interessenkreisen Aufmerksamkeit zu erhalten – doch Arbeiten wie WERK OHNE AUTOR aber auch weitere aktuellere Filmmusiken wie MY BRILLIANT FRIEND (2019) oder HOSTILES (2017) wurden abseits von Kundenrezensionen in Online-Stores kaum kommentiert. Solche Kompositionen bieten losgelöst vom visuellen Kontext einfach weniger markante Orientierungspunkte. Sie sind deshalb nicht langweilig oder gar von minderer künstlerischer Qualität, aber letztlich einfach zu unauffällig, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Dies ist auch bei WERK OHNE AUTOR der Fall. Richters kompositorische Handschrift ist hier klar zu erkennen, weshalb diese Musik den Fans von Max Richters bisherigen Arbeiten und von seiner «Hintergrund-Musik» sicherlich gefallen wird. An Liebhaber markanterer Filmmusik wird jedoch wohl auch dieses Album mehr oder weniger unbemerkt «vorbeiwehen».

In WERK OHNE AUTOR wartet Max Richter im zweiten Stück, «Kurt & Elisabeth», mit einem intimen, ruhigen Leitthema für die Hauptfigur Barnert auf – eher selten für seinen Kompositionsstil – und dieses Thema zieht sich nachher wie ein roter Faden in unzähligen Varianten stimmungsvoll durch den ganzen Score, aber man ertappt sich immer wieder dabei, wie man dem grad aktuell erklingenden leisen Piano- oder Gitarren-Solo-Spiel des Themas, oftmals von einem ruhigen Streicher-Teppich unterlegt, die Aufmerksamkeit zu entziehen beginnt. Man schweift ab… das Interesse schwindet. Im Film wirkt die stellenweise luftige, wehende, flüchtige, nüchterne Musik als angenehmer Kontrapunkt zum bedrückende Geschehen, aber als reines Hörerlebnis ist WERK OHNE AUTOR wohl zum Hintergrund-Dasein verdammt (ob gewollt, oder nicht) – ein Schicksal, das zugegebenermassen auch vielen anderen Filmmusiken zukommt, doch fällt es einem schwer, hieraus die (momentane) Euphorie um das Schaffen von Max Richter im Filmmusikbereich erklären zu können (ähnlich wie damals bei Gustavo Santaolalla Mitte der 2000er Jahre). Wenn auch stimmungsvoll, so hat man diese und ähnliche Filmmusikansätze zuvor schon oftmals gehört. Ist WERK OHNE AUTOR nun eine gute Filmmusik? Lohnt sich der Erwerb des Albums? Die Musik ist im Film zweifelsohne sehr passend. So gesehen, ist WERK OHNE AUTOR eine gute Filmmusik geworden. In der Albumauskoppelung dürfen hier Fans von Richters Musik bedenkenlos zugreifen – das Gebotene wird Ihnen sicherlich gefallen. Wer zu Richters bisherigen Arbeiten jedoch keinen Zugang fand, den wird auch WERK OHNE AUTOR kaum nachhaltig beeindrucken.

Basil, 26.7.2019

WERK OHNE AUTOR

Max Richter

Deutsche Grammophon

71:04 Min.
19 Tracks