A Week with James Horner (2)

A Playlist with Music by James Horner – Teil I

von Basil Böhni

Diese Tage jährt sich der Tod von James Horner (14. August 1953 – 22. Juni 2015) zum fünften Mal. Dies nehme ich – ein Horner-Enthusiast seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre – zum Anlass, mir mal wieder eine Extradosis seines umfassenden Filmmusikschaffens zu gönnen. Mit diesem Artikel möchte ich einige Einzelstücke aus der Feder Horners hervorheben, die ich mir besonders gerne und oft anhöre – dazu zählen vielgepriesene Fan-Favoriten sowie allenfalls auch ein paar Überraschungen. Die nachfolgende Playlist ist chronologisch geordnet.

Den Auftakt macht das mitreissende Stück «Freight Train» aus THE JOURNEY OF NATTY GANN (1985). James Horner hat für dieses Disney-Abenteuer eine Filmmusik geschrieben, nachdem jene von Altmeister Elmer Bernstein (1922–2004) abgelehnt wurde (wobei im finalen Film dann doch noch zwei der Bernstein-Tracks zu hören sind). Das Stück «Freight Train» begleitet eine typische Disney-Abenteuerfilm-Sequenz: die Titelheldin Natty und der Teenager-Junge Harry haben es grad noch geschafft, auf einen Güterwagen eines vorbeifahrenden Zugs aufzuspringen, während der sie begleitende Wolf im nahen Wald kurz stiften gegangen ist. Als der Wolf realisiert, dass sein Frauchen, den Zug genommen hat, rennt dieser mit einem dynamischen Sprint entlang den Bahngeleisen hinter besagtem Zug her, wird immer schneller und setzt letztlich zum heroischen Sprung hinein in den Zugwagen an – wieder vereint mit seinen Reisegefährten, setzen die drei die Suche nach Nattys Vater quer durch die von der Depression geschüttelten USA fort. Der Sprint des Wolfs und die Beschleunigung des Zugs transponiert Horner effektvoll in seine kurze Komposition für diese Szene. Nach einem verträumten Auftakt mit Klavierspiel und Fragmenten des Hauptthemas in den Streichern, beschleunigt das Piano zusehends und es mischen sich Gitarren mit ein. Ab 1:20 setzt das ganze Orchester zum Sprint an und bei 1:54 erfolgt der rettende Sprung des Wolfs. Es folgt ein kurzes Themenstatement der wiedervereinten Freunde und das Stücke «rattert» wortwörtlich aus; wie ein Zug, der in die Ferne schweift – mit einer musikalischen Interpretation des charakteristischen Ratterns alter Wagons auf den vernieteten Geleisen. THE JOURNEY OF NATTY GANN ist eine herrliche Horner-Komposition mit viel Americana-Esprit und Reminiszenzen auf das Schaffen von Aaron Copland (1900–1990) und Elmer Bernstein selbst.

Im selben Jahr erschien das Science-Fiction-Drama COCOON (1985). Dieser Film markierte die erste Zusammenarbeit zwischen James Horner und Regisseur Ron Howard (*1954) – es sollten noch sechs weitere Filme folgen. Für COCOON komponierte Horner eine Fantasy-Drama-Musik, gesprenkelt mit Jazz-Ideen. Mit den Jazz-Momenten kann ich persönlich nicht viel anfangen, aber das Filmfinale ist musikalisch betrachtet schlicht grandios. Ich fokussiere hier zwar auf das Stück «The Ascension», doch eigentlich muss man die beiden Stücke «The Ascension» und «Theme from Cocoon» immer zusammen geniessen – ein 12-minütiges Filmmusik-Feuerwerk. Während der «Ascension»-Sequenz präsentiert sich dem Zuschauer das Antareaner-Raumschiff mit den wohlgesinnten Aliens drin. Sie nehmen das Boot mit den ins Alter gekommenen Hauptdarstellern mit in ihre Welt – in eine Welt der Träume und Unsterblichkeit –, indem sie das Schiff mitsamt den Insassen aus den irdischen Gewässern entsteigen und Richtung Himmel davon fliegen lassen. Dieses kathartische Filmfinale begleitet Horner mit funkelnden, flirrenden, erhebenden Themenstatements – die Musik überhöht die letzte Reise der Senioren. Das stösst in Sphären von John Williams’ (*1932) grandiosem Finale aus E.T. (1982) vor.

1988 folgte die zweite Zusammenarbeit mit Regisseur Ron Howard (*1954): WILLOW. Als Horner-Fan führt an WILLOW kein Weg vorbei, wobei die Musik stets auch aufgrund ihrer nicht deklarierten Zitate klassischer Werke kritisch diskutiert wird. Dies betrifft allem voran das Thema für den Titelhelden, «Willow’s Theme». Diese Melodie entstammt dem 1. Satz («Lebhaft») der 3. Sinfonie in Es-Dur (die Rheinische Sinfonie) von Robert Schumann (1810–1856), komponiert im Jahr 1850. Nichtsdestotrotz befeuert dieses Thema in Horners «Musikvokabular» die gesamte Filmmusik in einem substanziellen Masse – dazu kommen weitere Themen, wobei besonders auch jenes für Elora Danan fantastisch ist. Während die gesamte Filmmusik zu diesem Fantasy-Haudegen in der 75-minütigen Form für meinen Geschmack etwas zu aufgeregt und explosiv ist – das London Symphony Orchestra, der King’s College Choir und Solisten liefern hier eine brachiale Tour-de-Force –, bemüht darum, sämtliche Schwächen des Films mit grandioser, epischer Musik zu kompensieren, kann ich mich der abenteuerlustigen Kraft von «Willow’s Theme» immer wieder mit kindlicher Begeisterung hingeben.

Mit GLORY (1989) gelang Regisseur Edward Zwick (*1952) eines der bewegendsten Historiendramen über den Amerikanischen Bürgerkrieg. Dies zu einem gewichtigen Teil dank der inzwischen ikonischen Filmmusik von James Horner. Die Highlights sind zahlreich – von requiem-artigem Gesang in «An Epitaph to War», über das herzzerreissende «The Whipping» und das heroische «Year of Jubilee» bis hin zu den glorreichen «Closing Credits» – mal intim mal larger-than-life-bombastisch und immer maximal bewegend. Dass Horner auffällig bei Sergei Prokofjew (1891–1953), Ralph Vaughan Williams (1872–1958), Richard Wagner (1813–1883) und Carl Orff (1895–1982) abgeschaut hat, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Damit muss man sich abfinden, sonst lässt man besser die Finger von GLORY, doch bliebe so eine wahre Filmmusik-Perle ungehört.

Für diese Playlist greife ich auf die «Closing Credits» zurück, womit man jedoch gleichzeitig allen anderen Stücken auf diesem Album Unrecht tut. Dabei sind gerade die ersten paar Takte dieser «Credits» eher irritierend an Philip Glass’ (*1937) POWAQQATSI (1988) angelehnt. Aber sobald die Glockenröhren ab 0:11 und dann der Chor und das ganze Orchester ab 0:21 mit dem Hauptthema einsetzen, nimmt es einem einfach «den Ärmel rein». Das Ausmass der hier ausgestrahlten Melancholie, Würde und Noblesse ist schlich ergreifend. Berühmt ist auch der kraftvolle Chorgesang von 1:11 bis 2:04. Danach folgen reine Orchester-Themenstatements, wobei Horner besonders ab 3:40 nochmals direkt auf die Tränendrüsen drückt. Um die 4:34-Marke herum folgt ein hoffnungsvoller Melodiebogen, den Horner u.a. 2013 in seiner verworfenen Musik für ROMEO & JULIET wieder aufgegriffen hat. Ab 5:42 übernimmt der markante Boys Choir of Harlem und lässt das Soundtrack-Album so ausklingen, wie es angefangen hat. Weshalb nur der Boys Choir of Harlem auf dem CD-Cover und im Booklet explizit aufgeführt wird, kann fast nur mit einer Ehrbezeugung aufgrund des filmischen Kontexts erklärt werden. Denn auch wenn dem Boys Choir eine tragende Rolle mit grosser emotionaler Kraft zukommt, spielen hier zusätzlich ein Orchester und ein gemischter Chor episch auf. Ein filmmusikalisches Ereignis!

Noch im selben Jahr vertonte James Horner das Vietnamkriegs-Drama IN COUNTRY (1989) von Regisseur Norman Jewison (*1926) und auch wenn Elemente aus GLORY in dieser Musik auszumachen sind, so spielt Horner für dieses intime Kriegsdrama auf viel diskreterer Klaviatur. Im 2-stündigen Film sind gerade Mal knapp 45 Minuten Horner-Musik zu hören und diese ist über weiteste Strecken zurückhaltend ausgestaltet – sprich, sie erfordert Geduld. Doch dies zahlt sich aus, denn das abschliessende Stück «Fallen Friends» ist eine 10-minütige Elegie über Vergangenheitsbewältigung, Verlust und Anerkennung des Lebens geworden – eng angeschmiegt an die einfühlsamen Bilder entlang der Gedenkstätte für die Vietnamkriegsveteranen in Washington. Obwohl der Film an den Kinokassen enttäuschte und damit auch die Musik im Trubel rund um GLORY und FIELD OF DREAMS (1989) unterging, hat diese Arbeit Horner besonders viel bedeutet, wie er während eines kurzen Interviews im September 2013 in Wien erzählte – es wurde klar, wie sehr ihn die intimeren, «kleineren» Filme stärker interessierten als die grossen Spezialeffekte-Kisten. Im Falle des Stücks «Fallen Friends» spürt man Horners Sensibilität im Umgang mit Bild und Musik eindrücklich. Horner arbeitet mit feinen Nuancen – so erklingt beispielsweise das Trompetenthema, das während der Musik als beklemmende Vietnam-Erinnerung in der Moll-Tonart aus der Vergangenheit rufend zu hören ist, ganz zum Schluss von «Fallen Friends» erstmals in hoffnungsvollem Dur.

Bekanntlich war James Horner ein leidenschaftlicher Aviatiker und Pilot (ein aus gegebenem Anlass leider bedrückender Satz; Horner stürzte am 22. Juni 2015 mit seinem Sportflugzeug ab). Zudem sollen Flugzeuge aller Art und Form auch sein Studio geziert haben. Als er 1989 zusammen mit Regisseur Joe Johnston (*1950) an HONEY, I SHRUNK THE KIDS arbeitete, hat er vernommen, dass Johnstons nächste Arbeit THE ROCKETEER (1991) für Disney sein würde. Sofort habe er gefragt, ob er auch für diesen Film die Musik schreiben dürfe. Johnston-Zitat aus dem CD-Booklet: «… he said, ‹Look, there are guys who get all the flying movies – John Williams gets a lot of them. I love aviation. I’ve always loved flying. I’ve always wanted to do a movie about flying. And I would love to do it›.» Und weil Johnston seine HONEY-Musik mochte, setzte er sich auch für die ROCKETEER-Zusammenarbeit ein. Horner komponierte eine ausgeprägt leitmotivische Filmmusik, wobei das Thema für die Hauptfigur Cliff, der dank einem Raketen-Backpack in die Lüfte abheben kann, das bekannte Herzstück darstellt. Diesem Thema widmet sich Horner in besonders ausladender und prunkvoller Weise während des abschliessenden Stücks «Rocketeer to the Rescue / End Title». Das Stück beginnt wenig spektakulär mit der Titelmelodie auf Klavier und dann kommen die Streicher hinzu. Das ist im Kern kein episches Superheldenthema, sondern ein Thema für einen simplen Bürger, der sich zum Volkshelden mausert. Und dieser Volksheld schnallt sich ab der 2. Minute das Raketen-Backpack um und setzt zu rettenden Flugmanövern an. Mit ihm schwingt sich Horners Musik in die Lüfte – gezündet von Crescendo. Horner: «… a very straight-ahead, traditional, go-get-‘em type score.» Geschnappt hat der sich der «Raketenmann» dann auch den Zuhörer und nicht nur den Bösewichten.

Nach diesem ersten «flying movie» sollte Horner noch einige weitere Filme mit markanten Flugsequenzen vertonen – ein paar davon folgen noch in dieser Playlist –, und tatsächlich sprühen diese «flying»-Stücke jeweils besonders prächtig vor Energie.

Filmmusikalische Ausflüge auf den afrikanischen Kontinenten oder in Verbindung mit afrikanischen Kulturen finde ich meist besonders spannend. Wohl weil Komponisten hierfür ihre Musik oftmals mit markanten Rhythmen, lebhafter Perkussion und packenden, berührenden Gesängen erweitern. Als ich nachträglich herausgefunden habe, dass auch James Horner mit A FAR OFF PLACE (1993) einen Abenteuerfilm mit Handlung vor afrikanischer Kulisse vertont hatte, musste ich mir dieses Album unbedingt beschaffen – damals die 1993er-Version von Intrada für rund CHF 125, bezogen über einen Second-Hand-Onlineshop. Als ich mir das Album zum ersten Mal anhörte, war ich zugegebenermassen etwas enttäuscht. Horners Afrika-Porträt hätte ich etwas lyrischer und ausschweifender erwartet, stattdessen liefert er für A FAR OFF PLACE viele atmosphärische, kantige Stücke mit exotischem Kolorit und stellenweise richtiggehend rabiaten Dissonanzen. Unerwartet für einen Disney-Film, doch wenn man bedenkt, dass hier Kinder von Wilderern, die deren Eltern ermordet haben, durch die Kalahari-Wüste gejagt werden, ist es wohl passend… Was das Album in der 1993er- als auch in der 2014er-Version rettet, ist das fantastische Hauptthema. Dieses weisst zwar kaum afrikanisches Musikkolorit auf, aber die warme, lyrische Melodie, die besonders während den «End Credits» von den Streichern und der Trompete kraft- und gefühlvoll vorgetragen wird, berührt und begeistert (besonders ab der 3:20-Marke).

Nun folgen Stücke aus Horners Schaffen während den Jahren 1994 und 1995 – innert zwei Jahren lieferte Horner gleich mehrere unangefochtene Klassiker. Für LEGENDS OF THE FALL (1994) berief sich GLORY-Regisseur Edward Zwick (*1952) erneut auf Horners Talente und dieser lieferte ein wahres Meisterwerk – themenreich, vielseitig und unverblümt emotional. Auch hier mag man kaum ein einzelnes Stück auswählen, doch für mich ist «Samuel’s Death» das Highlight. Diese gut acht Minuten Musik untermalen Tristans verzweifelten Rettungsversuch seines jüngsten Bruders, Samuel, der allein an die Kriegsfront gegangen ist. Das Stück bewegt sich meisterhaft durch Action, Drama und Trauer. Ein «Protokoll»:

Mit Tristans Spurt aus dem Lazarett künden sich im Hintergrund anschwellende Streicher an. Er schwingt sich auch sein Pferd und im hastigen Galopp prescht er aus dem Soldatencamp und aufs Schlachtfeld. Damit übernimmt ein treibender, schneller Rhythmus begleitet von kraftvollen Hornklängen, welche das Hauptthema zitieren. Abrupt bricht das Hornspiel jedoch ab und es übernehmen mit dem im Bild erscheinenden Samuel, welcher eingekesselt in einem Schützengraben in Deckung geht, dissonante Töne und tremolierende Perkussion.

Eine Kutsche zerbirst in tausend Stücke und ein Feuerball erfüllt das Bild. Während Tristan weiter sein Pferd gehetzt durch die Schlachtengräuel manövriert, melden sich die Hörner zurück. Kurzer Blick in den Schützengraben, wo Samuel realisieren muss, dass seinem Kollegen neben ihm von einem verirrten Splitter der Hals aufgeschlitzt wurde. Mit einer aufsteigenden, raschen Streicherfigur beschliesst er daraufhin, den Schützengraben zu verlassen und unter Kugelhagel tiefer ins Gehölz zu fliehen. Unterdessen wird Tristans Pferd durch eine Explosion zu Boden gerissen und auch die Musik bricht kurz ein. Doch es ist keine Zeit zu verlieren und Tristan rafft sich schnell wieder auf, um sich mit blossen Händen den heranstürmenden Gegnern zu entledigen. Die hier auflodernde Streichermelodie (ab 1:35) ist herzzerreissend, doch fällt sie im Film leider den Soundeffekten beinahe zum Opfer.

Mit einer Gasmaske ausgerüstet rauscht Tristan ebenfalls ins Unterholz und hinter Samuel her. Der Rhythmus in der Musik ändert und die von Horner sehr gerne eingesetzte japanische Shakuhachi-Flöte legt einen gespenstischen Schleier über die Passage. Wilde Schuss-Gegenschuss-Aufnahmen des fliehenden Samuel und zu Hilfe eilenden Tristan kommen mit dem Sturz Samuels zum Stillstand. Eine aufprallende Gasgranate brachte Samuel zu Fall und damit erklingt ein dumpfer Schlag in der Perkussion. Die Brüder befinden sich inzwischen etwas abseits des eigentlichen Schlachtgetümmels und die überall herumliegenden Leichen sind Zeugen der hier stattgefundenen Gräueltaten. Das entweichende grünliche Gas legt sich dabei um und über die Toten und Thomas wie eine tödliche Decke. Horners Musik spielt verhalten und sehr hohe, dissonante Streicher lassen eine tödliche, giftige Stimmung aufziehen.

Erst als Tristan den vom Gas um die Sinneskontrolle gebrachten Samuel entdeckt, lodern wieder Bläser in der Musik auf und verleihen ihr und der Szenerie neue Kraft und Entschlossenheit. Doch Samuel taumelt benebelt in eine Stacheldraht-Barrikade und verheddert sich darin. Während Tristan auf ihn zuspringt, nehmen zwei feindliche Soldaten ein Maschinengewehr in Betrieb. Die Streicher verdichten sich mehr und mehr. Tristan rast schreiend auf Samuel zu. Der erste Schuss fällt und die Musik heult mit lautem Shakuhachi-Spiel auf, während Samuel von den Kugeln durchsiebt wird.

Blind vor Wut schiesst Tristan die Soldaten tot und rennt zu Samuel. Streng genommen macht die Musik hier im Film eine geringfügig längere Pause als auf dem Album bevor sie wieder verhalten aus dem Hintergrund ertönt. Samuel hustet Blut, während Tristan ihn aus dem Stacheldraht zu befreien versucht. Die Musik konzentriert sich auf ein düsteres, dramatisches Bläsersolo, welches sachte mit Streicher durchsetzt wird, während Samuel in Tristans Armen aus dem Leben scheidet. Wie es Tristan von den Indianern gelernt hat, entfernt er unter Verfluchung einer höheren Macht Samuels Herz und mit der sich entfernenden Kamera verläuft sich auch die Musik in leiser werdenden, hohen Streichern.

Zurück im Camp legt Tristan das Herz in ein Gefäss, bemalt sein Gesicht mit dem an seinen Fingern klebenden Blut und verlässt, bis an die Zähne bewaffnet, fast tranceartig, das Zelt, um sich am Feind zu rächen. In dieser Szene herrscht passend ein gespenstisch ruhiger Charakter in der Musik vor. Zusammen mit rhythmischem Flötenspiel und einsetzendem militärischem Schlagwerk schleicht sich die Shakuhachi mit Tristans Charakter in bestimmter werdendem Ton an die Feinde heran. Die Streicher spielen wieder das Hauptthema in variierter, dramatischer Form, während Tristans die Feinde meuchelt und skalpiert. Völlig verdreckt und blutüberströmt kehrt Tristen bei Morgengrauen ins Camp zurück und reitet durch die bei diesem Anblick komplett verstörten Soldaten. Die Melodie widerspiegelt dabei zum einen das Gefühl des Triumphs in Tristans Seele, lässt aber auch erahnen, dass Tristans Rachegelüste nicht gestillt und sein Geist gebrochen ist und nicht zur Ruhe kommen kann.

Mit Alfreds Eintreten in Tristans Zelt wird die Musik wieder ruhig und ist dominiert vom Spiel der Shakuhachi. Alfred sieht sofort, dass Tristan in einem unzurechnungsfähigen Zustand ist. Mit irrem Blick und gezogenem Messer sitzt Tristan auf dem Boden und die Sequenz blendet über zur Heimkehr Alfreds zur Familie und Samuels Geliebten, Susannah. Mit tiefem Spiel im Bass und sich wiederholenden Figuren auf einer Klarinette begleitet James Horners Musik noch die Beerdigung Samuels und endet mit dem Vater, welcher vor dem Kaminfeuer steht und spricht: „Well, he certainly was the best of all of us, wasn’t he?“

Nachdem LEGENDS OF THE FALL im Dezember 1994 eine limitierte Kinoveröffentlichung erhalten hatte, folgte im Mai 1995 Mel Gibsons (*1956) Epos BRAVEHEART. Auch diese Filmmusik von James Horner wird auch ausserhalb seiner Fan-Kreise wiederholt zu den Favoriten gezählt. Sieht man davon ab, dass Horner das schottische/irische Flair oftmals auch mit Instrumenten aus asiatischen und südamerikanischen Landsteilen erzeugt hat und dass hier viele stilistische Ideen früherer Werke aufgegriffen wurden, steht einem emotionalen Hörerlebnis nichts im Weg. Auch wenn die Musik für das Filmfinale und die Credits punkto thematischer Breite repräsentativer sind, ist für mich das Stück «The Secret Wedding» das Highlight dieses Werks. Sowie die Hochzeit zwischen Wallace und Murron im Geheimen im nächtlichen Wald stattfinden muss, so beginnt Horner diese Komposition mystisch und geheimnisvoll. Beide Liebesthemen werden hier intim, zerbrechlich sowie schwelgerisch und zärtlich-lustvoll präsentiert. Das Oboenspiel (wenn ich mich nicht irre) ab 3:22 und anschliessend zusammen mit den Streichern bis 4:40 ist traumhaft und lässt mich seit dem ersten Hören nicht mehr los.

Im Mai 1995 erschien die Geister-Dramödie CASPER von Regisseur Brad Silberling (*1963) und mit ihr eine, über weite Strecken etwas andere Musik aus Horners Feder. Nach den dramatischen Werken zu LEGENDS OF THE FALL (1994) und BRAVEHEART (1995) durfte er hier für die Klamauk-Szenen auch komödiantisches Mickeymousing à la Danny Elfman liefern. Doch hat mich Horners dramatischere Musik stets mehr interessiert und so hat sich in meinem inneren Ohr seit dem ersten Hören der Musik bzw. Sehen des Films das melancholische, traurige «Casper’s Lullaby» unauslöschlich eingenistet. Auf die zarte, harmonische Eröffnung mit Chor und Streicher folgt die «simpelste», aber umso effektvollere Klavierversion ab 1:04, wobei insbesondere die melancholischen, «dunklen» Farbtupfer dem Wiegenlied einen traumhaften Charakter verleihen. Wenn dann Casper im Film zu diesen Klängen erzählt, wie er als kleiner Junge beim Schlittenfahren ums Leben kam bzw. sich tödlich erkältete, bricht einem das fast das Herz. Auch wenn diese Arbeit in Horners Œuvre unterzugehen droht, erachte ich «Casper’s Lullaby» als eines seiner schönsten Musikthemen. Dieses Thema bekam später mit der Wiederverwendung in der Musik zur Kinderbuchverfilmung THE SPIDERWICK CHRONICLES (2008) eine zweite Chance, gehört zu werden, doch leider war auch SPIDERWICK CHRONICLES wenig Erfolg beschieden – doch später mehr zu den Spiderwicks.

Knapp einen Monat nach dem Kino-Release von CASPER folgte der Doku-Spielfilm APOLLO 13 (1995) von Regisseur Ron Howard (*1954). Um den dokumentarischen Effekt zu unterstreichen und den Film innerhalb des historischen Zeitfensters klar zu verankern, platzierte Howard viele Songs aus der damaligen Zeit auf seiner Tonspur. James Horners Orchestermusik ist nur grad gut eine Stunde zu hören, was für dessen Vertonungs-Philosophie – wenn man so sagen darf – eher knapp ist. Doch die Musik hat es in sich – von «The Launch» über «The Dark Side of the Moon» bis hin zu «Re-Entry & Splashdown». Für diese Playlist greife ich indes auf die «End Credits» zurück. Diese werden vom wortlosen Gesang von Annie Lennox eröffnet, nachdem ihre unwirkliche, mystische Stimme bereits dem Stück «Dark Side of the Moon» eine sehr passende Klangaura verliehen hat. Für die Credits stimmt Lennox eine betörende Version der Titelmelodie an, wobei sich bei mir besonders ab dem Duo-Effekt ab 1:49 Gänsehaut einstellt. Ab 2:43 übernimmt wieder das Orchester und bietet, später zusammen mit Chor, einen wunderbaren Themenreigen, der vom prägnanten, noblen Trompeten-Solo so abgeschlossen wird, wie Horners Musik eröffnet hat. Horner 1995: «If you start off with a big score, it sets an audience up for just another sci-fi movie… except APOLLO 13 is a documentary; you know where it’s going to end. What I’m trying to get out of the story is the idealism.» Und diesen Idealismus der NASA-Mitarbeitenden verbindet er in seiner Musik mit Pioniergeist und im Aufbruch begriffener Abenteuerlust aber auch mit Furcht und Bedrohung.

Den Playlist-Abschluss für das Jahr 1995 macht «The Journey Begins» aus Horners sechster und letzter Filmmusik für einen Animationsfilm: BALTO (1995). Der Film von Regisseur Simon Wells (*1961) erzählt die Geschichte des titelgebenden Wolfshundes, der sein Leben riskiert, um Medizin für ein von einer Pandemie bedrohtes alaskisches Dorf zu besorgen. James Horner schrieb für diesen Film eine monothematische Filmmusik, wobei dieses Thema nicht nur grossen Ohrwurmcharakter besitzt, sondern er dieses auch sehr variabel in seiner Orchestermusik einsetzt. Besonders eindrücklich gelingt ihm dies im Stück «The Journey Begins», dem Aufbruchstimmung und Energie innewohnen, wie es der Titel andeutet, gleichzeitig aber auch immer Bedrohung und Gefahr mitschwingen – denn, Baltos Abenteuer wird kein Spaziergang. Hierauf verweist auch Frank K. DeWald in seinen interessanten Booklet-Ausführungen zur Intrada-Veröffentlichung dieser Filmmusik: um 0:33 erklingt ein nobles, kraftvolles Themenstatement in den Hörnern und mit Röhrenglockenklängen dazu; per 1:06 beginnen die Streicher mit einer Dur-Variante dieses Themas, wobei die Englischhörner ab 1:24 das Thema ins Bedrohliche abkehren; um 2:12 blitzt das Thema in den Streichern nochmals auf und das nächste Themenstatement ist in der Oboe ab 2:32 zu hören; ab 3:11 übernehmen wieder die Waldhörner zusammen mit Chor. Nach diesem fünften und kraftvollsten Themenzitat kehrt die Musik gänzlich in unheimliche und bedrohliche Gefilde ab, denn nun gilt’s ernst für Balto…

Den Abschluss dieses ersten Teils meiner Playlist macht eine kleinere Musik von James Horner für das Drama THE SPITFIRE GRILL (1996). Der Film von Lee David Zlotoff (*1954) erzählt die Geschichte von der jungen Frau Percy, die wegen Todschlags verurteilt wurde und die nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis in der kleinen Stadt Gilead neu starten will. Doch ihr schlagen Misstrauen und Ablehnung von den verschworenen Einwohnern entgegen. Sie muss sich behaupten und letzten Endes gar für andere wortwörtlich aufopfern. Der Film polarisierte einigermassen stark, nicht zuletzt wegen den zahlreichen biblischen Anspielungen und wegen dem melodramatischen Finale. Scheinbar soll der Film ursprünglich tatsächlich das Anliegen einer christlichen Erziehung verfolgt haben… produziert von der katholischen NPO Sacred Heart League. Whatever the story, für uns James Horner Fans brachte der Film eine Filmmusik mit sich, die zur damaligen Zeit überraschend und aussergewöhnlich war und die bis heute verzaubert. Er soll seine Musik Ende 1995 aufgenommen haben – im Jahr von CASPER, BRAVEHEART, APOLLO 13, BALTO, JADE und JUMANJI! Für THE SPITFIRE GRILL komponierte Horner eine Musik für ein kleines Ensemble, dem oftmals Soli auf Fidel, Bratsche, Banjo, Flöte und Klavier vorstehen, stellenweise begleitet von Pop-Elementen und gelegentlichen Soundeffekten. Auf ähnlicher Klaviatur porträtierte er in späteren Schaffensjahren die Natur in Filmen wie THE NEW WORLD (2005) und THE BOY IN THE STRIPED PAJAMAS (2008). Doch 1996 waren dies erfrischend anders klingende Ansätze aus seiner Feder. Und während er die mystischeren Klangcollagen später weiter ausarbeitete, so scheint mir der Sound im Stück «Reading the Letters» bis heute einzigartig in Horners Œuvre. Der Folksong-ähnliche Stil und die Leichtigkeit des hier präsentierten, schwelgerischen, warmen Themas ist umwerfend. Hier kann man nicht anders, als sich in einer von Abendsonne durchfluteten, ländlichen Gegend in New England wähnen.

20.6.2020

< Zu Teil 1: A Week with James Horner
> Zu Teil 3: A Week with James Horner (Playlist)