Spider-Man: Far from Home

SPIDER-MAN: FAR FROM HOME (2019) ist die Fortsetzung von SPIDER-MAN: HOMECOMING (2017) und nimmt den Erzählfaden der Spidey-Figur dort auf, wo AVENGERS: ENDGAME (2019) diesen aus den Händen gab. Sprich, Peter Parker alias Spider-Man hat sich seit HOMECOMING – in der filmischen Erzählung fünf Jahre vor FAR FROM HOME – weiterentwickelt (auch durch seine AVENGERS-Abenteuer), ist erwachsener geworden und musste tragische Verluste während jüngsten Abenteuern beklagen. Im Ergebnis wird sein jugendlicher, weniger beschwerter Übermut aus dem ersten Film in etwas ernstere Bahnen gelenkt. Doch natürlich ist auch in FAR FROM HOME noch etwas Platz für Spässe, wobei gerade diese den Film HOMECOMING so gelungen und erfrischend machten, während die daraus resultierte erzählerische Leichtigkeit und «Überschaubarkeit» hier in FAR FROM HOME nun zu sehr Platz machen muss für wuchtigere, epischere und teils bedeutungsschwangere Action und Dramatik. Doch unterhaltsam ist das Sequel, ebenfalls unter der Regie von Jon Watts, dennoch allemal und weil ein Grossteil des Schauspielensembles und der Filmemacher vom ersten Teil auch für die Fortsetzung verantwortlich zeichnet, werden die erzählerischen und künstlerischen Ebenen friktionslos erweitert. Dies gilt auch für die Filmmusik, die erneut aus der Feder von Michael Giacchino stammt.

In HOMECOMING wurde Spidey als der nette Teenager von Nebenan porträtiert, der aufgrund seiner Superkräfte jedoch in aussergewöhnliche Situationen gerät. Diesem Setup entlockten die Filmemacher und auch der Hauptdarsteller Tom Holland viel Komik. In FAR FROM HOME will Peter Parker mit seinen Kollegen nach Europa in die Ferien fahren. Doch zum Relaxen kommt er kaum, denn Nick Fury (Samuel L. Jackson) spürt ihn auf und eröffnet ihm, dass Europa von mystischen Wesen aus Stein, Feuer, Wasser und Luft, den sogenannten «Elementals», angegriffen werden wird. Diese wollen die «alte Welt» mit Feuerwalzen, Riesenwellen und Co. überziehen und auseinandernehmen. Und da sich Spideys Mentor diesen Schurken nicht mehr annehmen kann, muss es nun Spider-Man selbst richten, zusammen mit u.a. Quentin Beck alias Mysterio (Jake Gyllenhaal), Maria Hill (Cobie Smulders), Happy Hogan (Jon Favreau) und Fury himself.

Schon aus dieser Synopsis lässt sich erahnen, dass FAR FROM HOME in Sachen Action und Story abgedrehter und epischer ist als sein Vorgänger. Doch zum Glück bleiben ein paar romantische, komödiantische und auch melancholische Verschnaufpausen.

Für die Filmmusik greift Komponist Michael Giacchino ganz im Sinne der Fortsetzungslogik alte Themen und Ideen auf. Dies ist an sich sinnvoll und im vorliegenden Falle auch toll anzuhören, denn sein «Spider-Man»-Thema aus HOMECOMING ist herrlich und auch die Anleihen und teils kurzen, direkten Zitate von Alan Silvestris legendärem AVENGERS-Thema sind immer willkommen. Doch neben diesem «starken Erbe» aus früheren Marvel-Filmen verblassen die neuen Themen etwas, beziehungsweise sie bewegen sich teils (zu) nahe an ebenfalls bereits bekannten Melodien. Das ganze Set an alten und neuen Ideen präsentiert Giacchino als Albumauftakt mit der 8-minütigen Suite «Far From Home Suite Home». Sie eröffnet mit dem «Spider-Man»-Thema, aber nicht etwa beginnend in der verspielt-leichtfüssigen Version, sondern erstmals in der heroischen Fanfare-Inkarnation, direkt aus dem Stück «Vulture Clash» aus seiner HOMECOMING-Musik herausgegriffen. Sinnbildlich für den Entwicklungsstand des Charakters Peter Parker/Spidey – dramatischer, kraftvoller. Doch nach diesem markigen Auftakt erklingt das Spidey-Thema in verspiel-agilerer Version. Anschliessend an das Titelthema erklingt das Liebesthema. Dieses ist schön anzuhören, aber es erinnert irritierend stark an die «Le Festin»-Melodie aus seiner Musik zum Animationsfilm RATATOUILLE (2007) – das will hier irgendwie nicht reinpassen. Nach dem kurzen, ruhigen Liebes-Intermezzo präsentiert Giacchino das Thema für den neuen Charakter Mysterio, wobei er dieses aus einer Anleihe an das AVENGERS-Thema heraus erschafft – dies ist im Kontext der erzählten Geschichte wirklich clever. Das kraftvolle Thema, überwiegend von Blechbläsern vorgetragen, wird von elektronischen Soundeffekten und einem treibenden Pop-Beat begleitet. Dieser Mysterio-Musikteil leitet zum Abschluss der Suite fliessend ins «Spider-Man»-Thema zurück. Die Verschmelzung dieser beiden musikalischen Identitäten gelingt Michael Giacchino gut und sie scheint im Rahmen der Handlung von FAR FROM HOME passend zu sein, aber teils fällt es schwer, die Themen in der Folge auseinanderhalten zu können.

Im Stück «World’s Worst Water Feature» kommt dann noch das letzte Element dieser jüngsten Filmmusik Giacchinos pompös zum Zuge: Action, wie wir sie von Michael Giacchino kennen. Während das Wasser-Monster die legendäre Lagunenstadt Venedig zu malträtieren beginnt, versucht Mysterio dieses zu stoppen. Sprich, hier donnert ein 7-minütiger Action-Track durch die Boxen, der mehrmals kraftvoll das Mysterio-Thema zum Besten gibt. Das anschliessende Stück «Multiple Realities» begleitet die Sequenz, in der Spider-Man durch Nick Fury Mysterio vorgestellt wird. Mysterio erklärt Spidey, wer die «Elements»-Monster sind, was diese hier wollen, und dass er von einer anderen Erde stamme (daher auch der Tracktitle). In Mysterio sieht Spidey zusehends einen neuen Mentor – daher scheint auch die Mysterio-Thema-Verwandtschaft zum AVENGERS-Thema eine ausgefuchste Idee zu sein, sofern denn diese vermutete Verbindung berechtigt ist.

Mit dieser Palette an Themen und Ideen arbeitet Michael Giacchino über die gesamte Dauer von gut 79 Minuten Albumlaufzeit. Das ist erschöpfend, da es doch überwiegend laut zu und her geht, doch die Action-Musik hat hier mit den Steady-Beats und Pop-Rhythmen oftmals einen coolen Drive (erinnert stellenweise an Tylers NOW YOU SEE ME-Scores aus den Jahren 2013 und 2016), wodurch diese leichter, knackiger erscheint als die «Vulture»-Musik aus HOMECOMING. Ruhige Zwischentöne konzentrieren sich auf das letzte Drittel von «Prague Rocked», «Who’s Behind Those Foster Grants» (hier hört man ab 1:30 Minute den Anfang des Mysterio-Themas, direkt gefolgt vom AVENGERS-Thema), die erste Hälfte von «Personal Hijinks» und «Love Burning». Der Albumausklang ist mit «Swinging Set» und «And Now This» merkwürdig ausgefallen: nach dem versöhnlichen «Love Burning» erklingen im Rahmen der genannten zwei letzten, kurzen Stücke nochmals Themenstatements von Spidey und Mysterio – dann ist Schluss (immerhin besser als der «Easter Egg»-Abschluss der HOMECOMING-Suite, der einem gänzlich ahnungslos zurückliess). Wohin dieses Albumfinale musikalisch hinzeigen könnte, wird jedoch nicht klar. Fazit: Mit dem Spidey-Duo verhält es sich punkto musikalischer Weiterentwicklung ähnlich wie mit den beiden INCREDIBLES-Scores (2004 und 2018). Nicht, weil diese Arbeiten vergleichbar wären, sondern weil Michael Giacchino in beiden Fällen wirklich tolle Kompositionen für den ersten Teil abgeliefert hat, die Fortsetzungen jedoch mehr routiniert und auf ausgefeiltes Handwerk konzentriert davon ableitete, statt überzeugende neue Ideen hinzuzufügen. Da das Ausgangsmaterial sehr unterhaltsam ist, sind auch die Fortsetzungsarbeiten kurzweilig anzuhören, aber irgendwie vermisst man eine merkliche Weiterentwicklung und neue emotionale Anknüpfungspunkte (im Gegensatz zu seinen «Planet of the Apes»-Kompositionen (2014 und 2017), deren zweiter Teil an Ideen und Dramatik deutlich zulegte und zu Giacchinos besten Arbeiten zählt). Die Musik für die romantischen Momente vermag nicht zu überzeugen, was sehr schade ist, hingegen ist die Action-Musik weniger schwerfällig als in anderen Giacchino-Scores und die Mysterio-Musik hat pepp, auch wenn die Pop-Beats wohl nicht jedermanns Geschmack treffen – in die Spidey-Welt passen sie meiner Meinung nach gut. Unter dem Strich bietet Michael Giacchino mit SPIDER-MAN: FAR FROM HOME viele vertraute Ideen neu aufgewärmt, weshalb er hinter HOMECOMING zurückbleibt, deshalb aber nicht abfällt.

Basil, 28.6.2019

 

SPIDER-MAN: FAR FROM HOME

Michael Giacchino

Sony Music

79:44 Min.
25 Tracks