North by Northwest

War das wirklich nötig, ist man geneigt sich zu fragen, dass nach dem kompletten Originalscore von Rhino, einer überkompletten Neuaufnahme von Joel McNeely für den Varése-Club, einem zwar inkompletten, aber mehrfach wieder aufgelegten Rerecording von Laurie Johnson, diversesten Auszügen und Suiten sowie isolierten Musikspuren auf DVD und Blu-Ray North By Northwest nun von Intrada erneut auf den Markt gebracht wird.

Mögen die Meinungen diesbezüglich geteilt sein, dürfte man sich bei Folgendem jedoch einig sein: North By Northwest, im Sandwich von Vertigo und Psycho, bildet zusammen mit diesen den Gipfelpunkt des gemeinsamen Schaffens von Bernard Herrmann und Alfred Hitchcock und gehört zur Kategorie von Filmmusiken, die es verdienen, permanent erwerbbar zu sein.

Cary Grant als unbescholtener Roger Thornhill, der wegen eines dummen Zufalls von feindlichen Spionen für einen Bundesagenten gehalten und quer durch die USA gejagt wird; erneut greift der Regisseur in diesem spannenden, leichtfüssigen und eleganten Thriller mit dem zu Unrecht Verdächtigten eines seiner Lieblings-Sujets auf. Viele Szenen dieses zeitlosen Films bleiben unvergesslich, der Angriff eines Sprühflugzeuges auf Thornhill etwa, oder der Klimax auf den Präsidentenköpfen von Mount Rushmore.

Wie Herrmann die ständigen Begleiter von Thornhill ‒ Orientierungslosigkeit und Verwirrung ‒ musikalisch umsetzt, ist schlicht meisterhaft. Das gilt insbesondere für das Hauptthema, ein Fandango mit komplexen Rhythmuswechseln und kurzen Motiven, der, einmal gehört, obwohl bar jeglicher Melodien kaum wieder aus dem Kopf zu kriegen ist. Der Fandango unterlegt primär Actionszenen wie The Wild Ride/Car Crash, The Crash und Stone Faces, kann aber, wie in Detectives, schon mal humorvolle Züge annehmen.

Auch durch den Suspense ‒ von dem der Score reichlich besitzt ‒ führt Herrmann den Hörer nicht sicher an der Hand, sondern lässt ihn im Ungewissen, indem einen atonalen Weg beschreitet, auf dem ihn im Wesentlichen seine bevorzugten Streicher und Holzbläser begleiten und der aus drei wiederkehrenden Elementen besteht: ziellos umherwandernde, mit Thornhill assoziierte Arpeggio-Figuren, ein nervöses, ans «Dies Irae» erinnernde Motiv sowie eine Zelle aus zwei Noten, die meist einen Halbton auf- oder absteigen.

So bleibt es lediglich der Romantik überlassen, sich melodisch zu entfalten, und hier lässt sich Herrmann dann natürlich nicht lumpen und umschmeichelt den Hörer mit einem zarten Liebesthema, das in Conversation Piece seinen grossen Auftritt hat, wo sich im sanften Rhythmus der Streicher Oboe und Klarinette die Ehre geben. Auch deutet dieses Thema am Schluss des Filmes an, dass Held und Heldin gewillt sind, ihre Beziehung vertiefen.

Wieder einmal drängt sich die Kardinalsfrage auf, ob Besitzer des Scores, vor allem in Form der Rhino-CD, diese neue Edition anschaffen sollen. Für alle, die in Sachen Klang pingelig sind, auf jeden Fall, ist doch die in dieser Beziehung suboptimale Rhino der Intrada unterlegen, wenn auch nicht ganz so deutlich, wie das einige wahrhaben wollen. Aber auch in Sachen Präsentation ist diese neue Scheibe im Vorteil, bleibt doch das Merkmal etlicher Herrmann-Scores, nämlich viele kurze Cues, auf der Rhino mit 50 Tracks belassen, während die Intrada dank Zusammenlegung mit deren 28 auskommt und zudem die Source-Stücke aus dem Hauptprogramm verbannt hat.

Eins ist jedenfalls sicher: alle, die sich diesen Herrmann-Klassiker bisher noch nicht zulegten, haben nun keine Entschuldigung mehr für diese Unterlassung. Denn wie schreibt Frank K. DeWALD im Booklet doch so trefflich: «Viele Komponisten hätten für North By Northwest einen wundervollen Score schreiben können, aber nur Herrmann konnte ihm den perfekten geben.»

Andi, 16.9.2012

 

NORTH BY NORTHWEST

Bernard Herrmann

Intrada Special Collection Volume 207

69:15 Min. / 28 Tracks

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