Mulan (2020)

Am 22. August 2018 wurde verkündet, dass Harry Gregson-Williams die Filmmusik für das Live-Remake von Disneys MULAN komponieren werde. Damit schnellte mein Interesse an dieser Produktion subito in die Höhe. Wenn damals auch noch wenig zum Film bekannt war, versprach die Zeichentrickvorlage eine tolle Möglichkeit, von Gregson-Williams mal wieder kraftvolle Orchestermusik zu erhalten – eventuell etwas im Stile seiner Arbeiten für die NARNIA-Filme (2005/2008), KINGDOM OF HEAVEN (2005), PRINCE OF PERSIA: THE SANDS OF TIME (2010) oder auch SINBAD: LEGEND OF THE SEVEN SEAS (2003), vielleicht versehen mit Melodien aus Jerry Goldsmiths Musik zur Zeichentrick-Version von 1998 und mit fernöstlichem Kolorit gesprenkelt. Damit waren meine Erwartungen an diese Arbeit zugegebenermassen ordentlich hoch – nicht zuletzt, weil die Arbeiten jüngeren Datums von Gregson-Williams für MISS YOU ALREADY (2015), LIVE BY NIGHT (2016), THE ZOOKEEPER’S WIFE (2017) und THE EQUALIZER 2 (2018) allesamt keinen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen haben. Zwei Jahre später – auch wegen Corona-bedingten Verschiebungen – ist seine MULAN-Musik nun verfügbar. Das Ergebnis wartet mit wirklich schönen Momenten für Orchester, Chor und zahlreiche Instrumentalsolisten auf, enttäuscht aber in Bezug auf die neuen Themen und die stellenweise zu elektronisch aufgeladene Action-Musik.

Zuerst kurz zum Film: Regie führte Niki Caro, mit welcher Harry Gregson-Williams bereits für THE ZOOKEEPER’S WIFE zusammengearbeitet hat. MULAN hätte einer der grossen Disney-Kinokassenschlager 2020 werden sollen, doch COVID liess die Kinokassen geschlossen und letztlich wurde MULAN vom Kino-Blockbuster auf die Streaming-Plattform Disney+ degradiert. Hinzu sollen gemäss Jon Broxton, Editor von Movie Music UK, politische Misstöne gekommen sein: Zum einen soll die Hauptdarstellerin Yifei Liu Verständnis für das kritisierte Vorgehen der Polizei Hong Kongs gegen die Hongkong-Aktivisten gezeigt haben (hiervon berichtete auch der spiegel.de; 17.8.2019), worauf diese zum Boykott des Schaffens von Liu und damit auch von MULAN aufriefen. Zum anderen soll das Produktionsteam von MULAN logistische Unterstützung der Regierung der Provinz Xinjiang akzeptiert haben. Die Provinz Xinjiang steht wegen den «Umerziehungslagern» ausgerichtet auf die uigurische und andere in Xinjiang lebende muslimische Minderheiten, seit Jahren international in der Kritik. Ob also «nur» das Coronavirus an der «Abschiebung» auf Disney+, wo der Film gegen hohe Gebühren hätte geschaut werden können, schuld ist, ist fraglich. Gemäss einer Einschätzung von ScreenRant.com vom 16. September 2020 blieb MULAN bis zu jenem Zeitpunkt hinter den kommerziellen Erwartungen zurück und es wird angezweifelt, ob der Film seine Produktionskosten von USD 200 Millionen einzuspielen vermögen wird.

Nun zur Musik von Harry Gregson-Williams. Ob die vorgenannten Turbulenzen in irgendeiner Weise auch seine Arbeit beeinflussten, ist nicht klar, wobei dies eher unwahrscheinlich scheint, denn die Kompositions- und Aufnahmearbeiten dürften vor all diesen Berichten und Verschiebungen stattgefunden haben (der Film hätte ursprünglich im März 2020 starten sollen). Das Soundtrack-Album ist in zwei Versionen verfügbar (wenn auch merkwürdigerweise nicht überall so im Verkauf; amazon.de bspw. listet nur ein physisches Album): die hier rezensierte physische Veröffentlichung mit knapp 60 Minuten Score-Anteil und eine digitale Version mit gut 70 Minuten Score-Anteil. Produktionsaufwand scheint keiner gescheut worden zu sein. Gemäss dem CD-Booklet konnte Gregson-Williams neben einem grossen Orchester auch mit zahlreichen Instrumentalsolisten und mit Chor arbeiten. Die Filmmusik erreicht denn auch immer wieder bombastische Dimensionen, doch klingen diese besonders während den zahlreichen Action-Momenten leider allzu austauschbar. Zudem ist das neue Hauptthema für die titelgebende Heldin unspektakulär ausgefallen – irgendwie klingt das alles altbekannt und gegen den Ohrwurm-Charakter von der «Reflections»-Melodie aus der 1998er-Version von MULAN hat das neue Titelthema keine Chance, trotz aller Variationen und stellenweise epischen Darbietungen. Auch die Themen für den Bösewicht Böri Khan und die neu zur Geschichte hinzugedichteten Figur der Hexe Xianniang hinterlassen keinen bleibenden Eindruck und gehen mit den teils richtiggehend unangenehmen Synthi-Effekten nach mehrmaligem Hören regelrecht auf die Nerven (bspw. Stücke wie «The Witch» und «The Charge»).

Was bleibt sind allem voran schöne Momente mit den altbekannten Melodien der Songs «Reflection» und – nur in der digitalen Version – «Honor to Us All». Diese Melodien stammen von Matthew Wilder, wobei Harry Gregson-Williams hiervon gelungene Adaptionen für sein aufgefrischtes Score-Setup liefert. Das neue MULAN-Hauptthema wird sogleich im ersten Stück, «Ancestors», präsentiert. Wie bereits erwähnt, handelt es sich hierbei um eine passende thematische Ergänzung, aber kein neues Evergreen – nicht in der Instrumentalversion und auch nicht in der Song-Version «Loyale Brave True», gesungen von Christina Aguilera. Wirklich interessant wird die Filmmusik erst ab dem sechsten Stück (bzw. in der digitalen Version ab dem achten Stück): «Mulan Leaves Home» packt mit viel Dramatik und mit «Four Ounces Can Move a Thousand Pounds» folgt eine fantastische Präsentation der «Reflections»-Melodie. Nach diesen beiden Stücken folgt mit «Mulan Rides into Battle» ein erwartungsgemäss heroischer Track mit viel Paukenschlag und Trompete, wobei Gregson-Williams gekonnt die «Reflections»-Melodie mit dem neuen MULAN-Hauptthema und Auszügen der Bösewicht-Musik verwebt. Diese gut 12 Minuten Musik sind echt stark und eigentlich alles, was man sich von MULAN gewünscht hat. Sprich, die erwünschten Essenzen sind hier, aber halt nicht auf die gesamte Albumspieldauer hinweg – denn nach «Mulan Rides into Battle» folgt zwar viel Action-Musik, aber bis zum nächsten Highlight mit «Fight for the Kingdom» vergehen rund 20 austauschbare Minuten. Schade, dass das 2.5-minütige Stück «Chasing the Hawk», welches «Fight for the Kingdom» vorgelagert wäre, nur digital verfügbar ist. Zu finalen Höhen schafft es Gregson-Williams’ Musik mit dem abschliessenden Track «The Fourth Virtue».

Fazit: Die Filmmusik zu MULAN von Harry Gregson-Williams hat tolle Highlights, die mit den Stücken «Mulan Leaves Home», «Four Ounces Can Move a Thousand Pounds», «Mulan Rides into Battle», «Chasing the Hawk» (nur digital), «Fight for the Kingdom» und «The Fourth Virtue» zu einer knapp 25-minütigen Suite zusammenprogrammiert werden können. An die anfangs erwähnten Arbeiten von Gregson-Williams reicht MULAN jedoch nicht heran. Mit der Musik von Jerry Goldsmith für die Zeichentrick-Version von 1998 hat Gregson-Williams’ Arbeit nichts zu tun. Hätte die Action-Musik weniger auf zeitgenössische Synthi-Beats und mehr auf Taiko-Action und auf Trommelwirbel gesetzt, wäre wohl auch von dieser mehr abzugewinnen gewesen.

Basil 11.10.2020

 

MULAN

Harry Gregson-Williams

Walt Disney Records (Universal)

70:36 Min. [digital Version: 82:59 Min.]
21 Tracks [digital Version: 26 Tracks]