Legends of the Fall (Intrada)

Im April 2020 hat das Soundtrack-Speziallable Intrada Records das vielgepriesene Horner-Meisterwerk LEGENDS OF THE FALL (1994) in erweiterter und klanglich überarbeiteter Fassung veröffentlicht. Weil dieses Werk für viele Filmmusik-Aficionados nicht nur zu den besten Arbeiten von James Horner selbst zählt, sondern auch als generelles Highlight in Sachen Filmmusik gesehen wird, ging ein entsprechender Begeisterungssturm ob dieser Neuveröffentlichung durch die Community. Doch in dieser 2-CD-Präsentation macht LEGENDS OF THE FALL keinen entscheidend besseren Eindruck. Eher gibt es mehr vom selben zu entdecken. Dies ändert nichts an der Tatsache, dass Horners LEGENDS OF THE FALL eine hervorragende Filmmusik ist, doch unterstreicht es die hohe Qualität der 75-minütigen Veröffentlichung im Jahr 1994. Sprich: Dieses 2-CD-Set ist ein Pflichtkauf für alle Komplettisten und für jene, welche die Filmmusik für LEGENDS OF THE FALL noch nicht ihr Eigen nennen dürfen. An Facettenreichtum – was ein Kaufargument für Besitzer der Erstveröffentlichung sein könnte –gewinnt die Musik in der erweiterten Fassung jedoch kaum.

Kurzer Exkurs zu Expanded-Alben von Arbeiten aus der Feder von James Horner: Bekanntlich hat Horner zusammen mit seinem Recording-Ingenieur für seine Soundtrack-Veröffentlichungen meist viel Musik auf eine CD draufgepackt – nicht selten über 70 Minuten. Entgegen «verstümmelten» 30-Minuten-Programmen (wie dies bei vielen der alten Varèse-Veröffentlichungen aus lizenzrechtlichen Gründen der Fall gewesen sein soll) können in solchen Fällen erweiterte Neuveröffentlichungen nur selten wirklich neues Material bieten. Einem solchen oder ähnlichen Verdikt ertappe ich mich in Bezug auf Expanded-Veröffentlichungen von Horner-Alben recht häufig. So sehr es mich als Sammler begeistert, wenn ich klanglich überarbeitete, neu produzierte Tonträger mit schmucken Booklets zu meinen alten, teils lädierten Erstveröffentlichungen hinzustellen kann – und ich bestelle mir diese Neuveröffentlichungen wann immer möglich –, so erachte ich die zusätzlichen Musikminuten bei Horner-Alben selten als substanzielle Bereicherung. Dies vergällt mir die Freude am Produkt keineswegs, aber die wichtigsten Filmmusikmomente der jeweiligen Horner-Musik sind meist bereits auf der Erstveröffentlichung mit drauf. Dies empfand ich bereits so u. a. bei Intradas COCOON (1985), THE ROCKETEER (1991) und BALTO (1995). Nichtsdestotrotz schätze ich diese Neuauflagen punkto Klangqualität und Produktionswert sehr, wenn auch die zusätzlichen Musikminuten meiner Meinung nach selten der eigentlichen Aufreger sind. Anders war die Sache in Bezug auf die Neuauflage von APOLLO 13 (1995), die endlich Horners Musik ohne die vielen Songs und Dialogfetzen vom Originalalbum – und leicht erweitert – präsentierte. Oder die Expanded-Versionen von BRAVEHEART (1995; u. a. dank Stücken wie «A Father’s Final Return» oder «Romantic Alliance») und TITANIC (1997; mit neuen Highlights wie «2 1/2 Miles Down», «Trapped on D Deck» oder das kraftvolle «Trailer»-Stück), wo einzelne neue Stücke wirklich interessante neue Einblicke in das Gesamtwerk ermöglichten. Vielversprechend dürfte auch eine erweiterte Version von AVATAR (2009) sein, da dort viel Action-Musik nicht auf dem offiziellen Album drauf ist. Und logischerweise stehen Neuveröffentlichungen bisher nicht veröffentlichter oder vergriffener Titel in meiner Gunst ganz zuoberst. Die nun hier vorliegende Präsentation von LEGENDS OF THE FALL hingegen fällt für mich in die erwähnte Kategorie von COCOON und Co.: attraktives Gesamtpaket ohne wirklich aufregende Neuheiten – gesetzt der Fall, dass die unumstösslichen Qualitäten dieser traumhaften Filmmusik bereits bekannt sind.

Für LEGENDS OF THE FALL arbeiteten Regisseur Edward Zwick (*1952) und Komponist James Horner (1953–2015) nach GLORY (1989) zum zweiten Mal zusammen. Der Film erzählt die dramatische Geschichte der drei Ludlows-Brüder Tristan, Alfred und Samuel. Sie wachsen auf einer Ranch in Montana bei ihrem Vater auf – die Mutter hat die Familie vor langer Zeit verlassen. Tristan ist ein wilder Naturbursche, der sich der indianischen Kultur nahe fühlt. Alfred ist ein geradliniger Charakter mit Hang zum öffentlichen Leben und zur Politik. Samuel, der jüngste, studierte in Harvard. Eines Tages bringt Samuel seine Verlobte Susannah nach Hause. Alfred und Tristan verlieben sich sofort in die bildschöne Frau. Sie wiederum verguckt sich in Tristan. Schicksalshafte Ereignisse künden sich an, als sich alle drei Söhne bei der kanadischen Armee melden, um im Ersten Weltkrieg für die Briten gegen das Deutsche Reich zu kämpfen. Im Krieg fällt Samuel, was Tristan mit Schuldgefühlen beladen in die Depression treibt. Er kommt als gebrochener Mann aus dem Krieg zurück nach Hause. Ebenfalls wieder daheim ist Alfred, der inzwischen Susannah seine Liebe gestanden hat. Sie indes will mit Tristan zusammen sein, doch dieser «flieht» sich in eine Weltreise. Als er zurückkommt, ist Susannah mit Alfred, zwischenzeitlich Politiker, in einer unglücklichen Ehe gefangen. Alte Gefühle und Begierden flammen auf und es rücken zudem kriminelle Parteien aus Tristans Vergangenheit als Alkoholschmuggler während den Prohibitionszeiten auf den Plan.

All diese Story-Elemente, die indianische Kultur, die traumhafte Landschaft, die zahlreichen Figuren und die unglücklichen Liebesbeziehungen reflektiert James Horner in seiner Filmmusik. Je nach Musikanalyse, die online gefunden werden kann, verwebt er zwischen fünf und zwölf Musikthemen miteinander. Das Ergebnis ist schlicht wunderbare Filmmusik. Viel mehr muss man dazu an dieser Stelle eigentlich nicht schreiben. Mein Lieblingsstück, «Samuel’s Death», habe ich hier im Detail besprochen.

Doch was bietet nun dieses 2-CD-Set? Am 19. April 1994 – also fast 26 Jahre vor diesem Release – beendete James Horner die Aufnahmen seiner Golden Globe-nominierten Musik für LEGENDS OF THE FALL zusammen mit dem London Symphony Orchestra und Solisten in den Abbey Road Studios. Sämtliche im Film zu hörende Musik ist auf diesen 2 CDs drauf. Die knapp 99-minütige «Score Presentation» entspricht indes nicht genau der Musik im Film, wie dies ausgiebig auf der Fan-Website jameshorner-filmmusic.com gelesen werden kann. Das neue Stück «Susannah» (Track 3) ist auf dem Album rund 2 Minuten länger als die Filmversion hiervon. Hingegen müssten scheinbar die «Legends of the Fall»- und «Tristan’s Return»-Versionen auf der CD 1 durch diejenigen um 2 bzw. 1 Minute längeren Versionen auf der CD 2 ersetzt werden. Diese allfälligen Änderungen in der Stückeprogrammierung dürften indes nur den hart gesottenen und tiefenanalytischen Hörern wichtig sein. Fakt ist, die LEGENDS-Filmmusik ist hier um rund 25 Minuten länger. So wird der Hörer mit den neuen Stücken «Susannah’s Arrival / The Train Station» und «Susannah» mit 7 Extraminuten gemächlicher in die Ludlows-Geschichte eingeführt. Auch bietet das neue Stück «The Letter» ein romantisch-melancholisches Intermezzo vor dem mitreissenden und action-geladenen «Samuel’s Death». «Tristan’s Quiet Heart» kombiniert mystische Holzbläser mit an- und abschwellenden Streichern und «A Moment Alone» präsentiert ein schönes «Twilight and Mist»-Statement auf der Fidel. Die weiteren Zusätzlichen Minuten mit «The Calf and the Bear», «Tristan Goes to Jail / Last Visit» und den verschiedenen Verlängerungen in bisher bereits veröffentlichten Tracks machen den Rest dieser 25 zusätzlichen Minuten Musik aus. Wie bereits geschrieben, bauen alle diese Tracks auf bekannten Themen und Ideen auf.

Eine schöne Dreingabe ist die Piano-Solo-Version von «Twilight and Mist». Die Melodie ist allem voran aus dem Anfang des Stücks «The Ludlows» bekannt. Hier gelang James Horner nicht nur eine Ohrwurm-Melodie mit ergreifender Simplizität, sondern er liess von Brock Walsh, mit dem er bereits an HOCUS POCUS (1993) zusammengearbeitet hatte, auch einen Liedtext schreiben (Horner musste das HOCUS POCUS-Projekt dann jedoch aus zeitlichen Gründen an John Debney abgeben; sein Musikthema für Sarah mit Walshs Liedtext für «Sarah’s Theme» blieb indes im Film drin). Dieses «Twilight and Mist»-Lied wird von Henry Thomas im Film LEGENDS OF THE FALL gesungen, doch auf CD ist diese Komposition in einer erweiterten Piano-Version ohne Gesang zu hören.

Neben den zusätzlichen Musikminuten und den «Extras» liegt dem 2-CD-Set natürlich auch wieder ein optisch schönes Booklet bei, das dieses Mal jedoch punkto Informationen eher bescheiden ausgefallen ist. Fazit: Etwas lapidar resümiert, kann man sagen, dass LEGENDS OF THE FALL von James Horner eine Wucht ist, egal in welcher Version. Ein stimmiges Gesamtkunstwerk mit unvergesslichen Hauptthemen, betörenden Klangfarben und breiter emotionaler Vielfalt. Wer Freude an orchestraler, dramatischer Filmmusik hat, den wird diese Musik begeistern. Die emotionale Kraft wohnt diesem Werk in der 1994er- als auch in der erweiterten 2020er-Veröffentlichung inne. Von einem «massgeblichen Update» kann man im Falle der Intrada-Version daher zwar nicht sprechen, aber wem der doch stolze Aufpreis von USD 24 für das 2-CD-Set nicht zu steil ist (die 1994er-Version gibt es bei Amazon bereits für knapp USD 6 bzw. EUR 5), der wird dank Intrada während 130 statt «nur» 75 Minuten mit dieser Musik in die Welt der Ludlows im pittoresken Montana abtauchen können – ein immer wieder ergreifendes Hörerlebnis!

Basil, 17.7.2020

Musik:
Intrada Veröffentlichung:
LEGENDS OF THE FALL (EXPANDED)

James Horner

Intrada Records

133:54 (Min. / 2 CDs)
31 Tracks