Il Casanova di Federico Fellini

Es ist nicht von der Hand zu weisen: Scores, die unter extremen Bedingungen entstehen, sind oft etwas ganz Besonderes. Das trifft auch auf jene Filmmusik zu, die Nino Rota zum zweitletzten Mal mit Fellini zusammenführte. Ausgerechnet als IL CASANOVA DI FEDERICO FELLINI nach einer langen und komplizierten Vorgeschichte endlich gedreht wurde, fing sich Rota eine Lungenentzündung ein. Zwar war er, obwohl ans Bett gefesselt, noch in der Lage zu komponieren, aber alle anderen Aufgaben, inklusive der Orchestration, übertrug er Carlo Savina. Besonders letzteres behagte Savina überhaupt nicht, aber zu seiner Überraschung versteckten sich in den Noten, die er von Rota ausgehändigt bekam, alle Grundlagen für die Orchestration. «Ich brauchte das bloss in Ordnung zu bringen und hoffe, dass ich ein paar kleine Details beitragen konnte.»

So ist es denn auch zu einem grossen Teil die Orchestration, die diesen Score so einzigartig macht. Glasharmonika, Oboe d’Amore, diverse Tasteninstrumente (Klavier, Celesta, Cembalo, Orgel) und Glockenspiele erzeugen einen unvergleichlichen Klangkosmos, der irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit verankert ist und einer exakten musikgeschichtlichen Zuordnung trotzt. Ohne sich selbst zu verleugnen, dreht Rota gängigen Konventionen eine Nase und liegt damit auf einer Wellenlänge mit den Intentionen Fellinis.

Mit «O Venezia, Venaga, Venusia» findet man sich sogleich in einer verschrobenen Welt wieder, wo unter anderem der wunderliche Klang der Glasharmonika die Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Mit gemächlichem Tempo lässt sich dieser faszinierende Track Zeit, seine Magie zu entfalten, und man achte auf unerwartete Sachen wie ein in Jazz-Laune aufspielender Bass. «L’uccello magico» ist ein wichtiger, wiederkehrender Bestandteil des Scores; die verspielte musikalische Umsetzung eines mechanischen Vogels, inklusive Aufzieh-Geräusche. «Pin Penin», ein Wiegenlied von verführerisch-geheimnisvollem Charakter, schmeichelt sich sowohl instrumental als auch im Gesang einer Vokalistin in die Gehörgänge.

Abwechselnd dazu gibt es besonnenere, teils mit Traurigkeit behaftete und mit einer religiösen Note versehene Themen («Canto della Buranella», «Ricordo di Henriette») sowie kurze, sich der absurden Handlung unterwerfende, opernhafte Gesänge. Der irrwitzige Höhepunkt ‒ des Wahnsinns fette Beute sozusagen ‒ wird in «Il duca di Wurttenberg» erreicht, wo unter anderem gleich mehrere Orgeln für ein Klangerlebnis der besonderen Art sorgen.

Die limitierte Edition von Music Box Records enthält auf CD 1 die erste CAM-Version, die mit 31 Minuten zwar nicht allzu lang ausgefallen ist, sich aber blendend zusammengestellt präsentiert. Bei einer späteren Wiederveröffentlichung hängte CAM sechs Alternates an die ursprünglichen 13 Tracks an, und diese findet man bei Music Box nun auf CD 2 in den Bonus-Tracks. Die Liner Notes proklamieren dieses willkürlich zusammengestellte, aus verschiedenen Versionen und Takes bestehende Programm als «kompletten Score», was aber angezweifelt werden darf, denn zumindest die Trommeln und Fanfaren aus der Karnevals-Szene unmittelbar nach dem Filmvorspann fehlen schon mal. Ansonsten aber wird einiges geboten: «Canto della Buranella» im orientalischen Gewand und in einer Blaskapellen-Version, Cembalo-Soli und Spieldosenklänge. Alles in allem ist das Ganze zwar nicht so bezwingend wie der LP-Schnitt, aber insbesondere der Rota-Fan dürfte trotzdem seine helle Freude daran haben.

Um nochmals auf die Liner-Notes zurückzukommen: abgesehen davon, dass sie nicht sehr umfangreich sind, behandeln sie die Musik selbst recht stiefmütterlich. Was schade ist, weil man gerade in diesem Fall bezüglich Orchestration für ein wenig mehr Informationen sehr dankbar gewesen wäre. Denn es ist beinahe unmöglich herauszuhören, was bei diesem Score alles an Instrumenten im Einsatz ist. Und wenn man manchmal denkt, es müsste Elektronik mit im Spiel sein, ist das möglicherweise gar nicht der Fall, sondern es liegt ganz einfach an besonderen Spiel- und Aufnahme-Techniken. Was die Tatsache nach sich zieht, dass die ureigene Atmosphäre der Filmeinspielung in Neuaufnahmen praktisch nicht reproduzierbar ist.

Vielleicht sollte man aber ganz einfach nicht zu viel über das alles nachdenken, sondern einfach staunen und geniessen. Denn trotz oder gerade wegen seiner Krankheit hat Nino Rota mit IL CASANOVA DI FEDERICO FELLINI noch spät in seiner Karriere einen Geniestreich rausgehauen, der mit Fug und Recht zu seinen künstlerischen Highlights gezählt werden darf.

Andi, 27.7.2018

IL CASANOVA DI FEDERICO FELLINI

Nino Rota

Music Box Records MBR-137

CD 1 31:27 Min. / 13 Tracks
CD 2 59:40 Min. / 27 Tracks

Limitiert auf 1000 Stk.