Enola Holmes

Um Komponist Daniel Pemberton kommt man aktuell kaum herum. Das wird die Fans seines Filmmusikschaffens freuen und zugleich jene irritieren, die mit seinen teils unkonventionellen Klangkreation wenig anfangen können. Persönlich zählte ich mich bis vor Kurzem eher zu letzteren. An THE MAN FROM U.N.C.L.E. (2015) und an ALL THE MONEY IN THE WORLD (2017) fand ich grosse Freude, hingegen vermochten mich STEVE JOBS (2015), KING ARTHUR: LEGEND OF THE SWORD (2017) und SPIDER-MAN: INTO THE SPIDER-VERSE (2018) nicht zu begeistern. Die musikalische Schlachtplatte für BIRDS OF PREY (2020) ging mir regelrecht auf die Nerven – auch wenn ich nach Sichtung des Trailers zu diesem Film das Musikkonzept im filmischen Kontext als durchaus stimmig vermute. Als Hörerlebnis erschütterte mich BIRDS OF PREY wohl auch deshalb besonders, weil ich Pembertons zuvor veröffentlichte Musik für die TV-Serie DARK CRYSTAL: AGE OF RESISTANCE (2019), co-komponiert mit Samuel Sim, wiederum äusserst gelungen fand. Sprich, ein Wechselbad der Empfindungen. Einer neuen Pemberton-Musik nähere ich mich nun also grundsätzlich so gut als möglich erwartungsfrei. Ganz im Sinne von: Bei dem weiss man nie so recht, was einem entgegenschlägt. Das kann durchaus spannend sein, aber auch strapaziös. Im Falle von ENOLA HOMLES (2020) gab ich mir jedoch bereits nach wenigen Stücken Entwarnung – hier regiert grossmehrheitlich schmissige, mitreissende Gute-Laune-Musik, angeführt von starken Hauptthemen. Musikalische Experimente sind rar, was mir recht ist, aber Fans seiner eigenwilligeren Kompositionen wiederum etwas ernüchtern dürfte. Und so sind die Geschmäcker verschieden, doch für mich ist ENOLA HOLMES ein buntes Highlight des COVID-bedingt arg ramponierten Filmmusikjahres 2020.

ENOLA HOLMES von Regisseur Harry Bradbeer fokussiert auf die kecke, selbstbewusste und quirlige Schwester vom weltberühmten Detektiv Sherlock Holmes. Während Sherlock und dessen Bruder Mycroft bereits viel Leinwand- und TV-Bildschirmpräsenz geniessen durften – jüngeren Datums mit den Guy Ritchie-Filmen SHERLOCK HOLMES (2009) und SHERLOCK HOLMES: A GAME OF SHADOWS (2011) sowie allem voran der genialen BBC-Serie SHERLOCK (2010–2017) – war bis dato von Enola nie die Rede. Geschichten über eine Schwester von Sherlock und Mycroft stammen auch nicht aus der Feder von Sir Arthur Conan Doyle, dem Schöpfer von Sherlock, sondern von der amerikanischen Autorin Nancy Springer, die ihre 6-teilige «Enola Holmes Mysteries»-Buchserie von 2006 bis 2010 publizierte. ENOLA HOLMES beruft sich auf den ersten Teil dieser Mystery-Serie, «The Case of the Missing Marquess». Im Fokus der Erzählung steht die aufgeweckte und selbstsichere Enola, die gänzlich wenig ladylike aus einem Internat flieht, um in London nach ihrer verschwundenen Mutter zu suchen. Ihr auf den Fersen sind ihre beiden Brüder, die sie von ihrem Vorhaben abbringen wollen.

Für diese meist schmissig erzählte Geschichte, angesiedelt im viktorianischen England, komponierte Daniel Pemberton eine ebenso schwungvolle Filmmusik. Interessanterweise schreibt Regisseur Harry Bradbeer im Booklet, dass er keine konventionelle Orchestermusik haben wollte. Pemberton indes liefert hier wohl eine seiner durchgehend orchestralsten Arbeiten ab. Dass sich Bradbeer während den Aufnahmen in den Abbey Road Studios dennoch «in heaven» und nicht, wie er teils befürchtete, «like doing THE ENGLISH PATIENT» fühlte, muss an den packenden Rhythmen und Soli gelegen haben. Pemberton peppte das 40-köpfige Orchester mit Banjos, Ukulele, Akkordeon (wenn ich mich nicht irre), Celesta, Drum Set und Waschbrett auf. Schon das herrliche Hauptthema, das im eröffnenden Stück «Enola Holmes (Wild Child)» präsentiert wird, kombiniert eingängige Rhythmen mit einer packenden Melodie. Einmal gehört, geht dieses Stück nicht mehr aus den Ohren. Im zweiten Stück, «Gifts from Mother», gibt er diesem Thema einen melancholischen Anstrich und leitet friktionslos über in das zweite prägnante Thema, das mit wortlosem, kurzem Sologesang einen mystischen, mysteriösen Twist aufweist. Dieses Thema erklingt im Stück «Cracking the Chrysanthemums Cypher» in voller Pracht.

Mit diesen beiden Themen arbeitet Daniel Pemberton während der gesamten Score-Laufzeit. Er variiert sie, kombinierte sie, lässt teils nur einzelne Elemente oder Fragmente erklingen – mal leichtfüssig, mal melancholisch, mal actionreich. Repetitiv oder langweilig wird dieses Musikportrait der unkonventionellen Titelheldin jedoch nie. Gelungen sind auch die Actionmusik-Momente, die nicht einfach zu lauten Clustern massiert werden, sondern knackig und agil ausgefallen sind. Stellenweise erinnert mich ENOLA HOLMES an Musik aus der Feder der britischen Komponistin Debbie Wiseman – allem voran ihre Musik für WILDE (1997), THE TRUTH ABOUT LOVE (2005) und TOM’S MIDNIGHT GARDEN (1999) –, versehen mit zigeunerischen Musikansätzen nicht unähnlich der HOLMES-Musik von Hans Zimmer, wenn auch mit weniger Ecken und Kanten. Fazit: Für mich ist ENOLA HOLMES die bis dato beste Arbeit von Daniel Pemberton. Seine DARK CRYSTAL-Musik sowie auch frühere Arbeiten wie KING ARTHUR oder STEVE JOBS erschien mir zwar ambitiöser konstruiert, aber ENOLA HOLMES trumpft mit einem bestechenden Spassfaktor.

Basil 2.11.2020

ENOLA HOLMES

Daniel Pemberton

Sony Music

66:18 Min.
29 Tracks