Double Indemnity

FILM NOIR AT PARAMOUNT

Miklós Rózsa u.a.

Intrada ISC 335

CD 1: 
75:17 Min. / 34 Tracks

CD 2: 
75:41 Min. / 30 Tracks

Die schlechte Nachricht zuerst: von ein paar der Scores, die auf dieser Doppel-CD vereint sind, überlebten nur wenige Tracks; ein Umstand, auf den das Booklet aber komischerweise kaum eingeht. Das bedeutet bedauerlicherweise, dass sich hier vertretene Top-Komponisten wie Hugo Friedhofer oder Franz Waxman nicht ganz so ausführlich in Szene setzen können, wie man sich das gerne wünschen täte.

Aber glücklicherweise ist mit Double Indemnity ‒ und damit kommen wir zum Positiven ‒ die Hauptattraktion dieser Kompilation noch ziemlich intakt, und immerhin dazu ist den Liner-Notes zu entnehmen, dass dank Zuhilfenahme eines Musik- und Effekte-Tracks (keine Angst, das klingt schlimmer, als es ist, denn Effekte sind keine auszumachen) dieser wichtige Rózsa-Score so weit aufgestockt werden konnte, dass schlussendlich nur ungefähr 10 Minuten fehlen.

Abgesehen davon, dass Billy Wilders Double Indemnity zu den bedeutendsten Filmen des Genres gehört, ist auf zwei Faktoren ganz besonders hinzuweisen. Erstens komponierte Miklós Rózsa hierfür seinen ersten Film-Noir-Score, und zwar auf eine Art und Weise, dass man meinen könnte, er hätte nie etwas anderes gemacht. Zweitens ist Barbara Stanwyck als gewissenlose Phyllis Dietrichson, die den liebestrunkenen Fred MacMurray nach Belieben manipuliert, eine Femme-Fatale-Verkörperung par excellence gelungen, an der sich alle Darstellerinnen, die ihr nacheifern, messen müssen.

Rózsa arbeitet in seiner von Streichern und Holzbläsern dominierten Musik im Wesentlichen mit drei Themen: «Murder», «Conspiracy» und «Love». Obschon «Murder» im von Fatalismus gesättigten Prelude die Konsequenzen der verhängnisvollen Affäre adäquat vorweg nimmt und somit als Hauptthema bezeichnet werden kann, fällt dem ruhelosen «Conspiracy» eine nicht unwichtigere Rolle zu. Dieses herausstechende, von nervösen Streichern vorgetragene Motiv hat der Komponist auf Anregung Wilders der Eröffnung von Franz Schuberts «Unvollendeter» nachempfunden. Und schliesslich kommt mit «Love» ein sehr gepflegtes Liebesthema zu Gehör, unter dessen leidenschaftlicher Oberfläche Tragik lauert.

Auch wenn da und dort noch Elemente seiner Fantasy-Werke aufblitzen, ist der Score bereits durchdrungen von Rózsas meisterhafter Sensibilität im Umgang mit Film-Noir-Stoffen, was der Filmindustrie nicht verborgen blieb, denn er erhielt dafür nicht nur eine verdiente Oscar-Nomination, sondern steckte als Folge davon auch für mehrere Jahre in der Genre-Schublade fest. Dies gereichte jedoch weder ihm noch uns Fans zum Nachteil, im Gegenteil, einige seiner hoch geschätzten Klassiker entstanden während dieser Schaffensphase.

Bei Ace In The Hole handelt es sich um einen weiteren Billy-Wilder-Film; dieses zynische und zeitlos aktuelle Drama knöpft sich den Sensations-Journalismus vor, der für eine verkaufsfördernde Schlagzeile buchstäblich über Leichen geht. Da es im Film vor moralisch verwerflichen Charakteren nur so wimmelt (allen voran der von Kirk Douglas verkörperte, eigennützige Reporter Chuck Tatum), sah der für die Musik verpflichtete Hugo Friedhofer keinen Anlass dazu, griffige oder gar rührselige Themen zu verwenden. Obwohl das weitestgehend zutrifft, harsche, unerbittliche und klamme, zuweilen geschäftige und gershwineske Klänge auf das Geschehen und die Lokalitäten eingehen, schleicht sich mit einem bluesig angehauchten Thema dann trotzdem noch ein wenig Sentimentalität ein. Insgesamt präsentiert sich eine substanzvolle Viertelstunde Musik auf einem von Friedhofer gewohnten, hohen Niveau.

Ebenfalls rund eine Viertelstunde gibt es von Sorry, Wrong Number. In diesem fiesen kleinen Film-Noir von Anatole Litvak, der auf einem erfolgreichen Hörspiel von Lucille Fletcher ‒ Bernard Herrmanns erster Ehefrau ‒ basiert, wechselt Barbara Stanwyck von der Täter- in die Opferrolle. Als bettlägerige Leona Stevenson wird sie zufällig Zeugin eines Telefongespräches, in dem es um die Ermordung einer Frau geht; dabei handelt es sich, wie sich im Laufe der Zeit herausstellt, um sie selbst.

Für die Musik konnte mit Franz Waxman ein ausgewiesener Genre-Fachmann gewonnen werden. Und er versäumt es nicht, schon im Prelude mit der ganz grossen, dramatischen Kelle anzurühren, lässt daneben aber auch sehr geschickt auf Instrumente übertragene Telefon-Geräusche mit einfliessen. Mit Ausnahme von Wedding and Honeymoon, das u. a. mit den angemessen arrangierten Hochzeitsmärschen sowohl von Wagner als auch von Mendelssohn eine Montage unterlegt, geht es weiter mit bedrohlichen Klängen, Spannung und gelegentlichen Schockmomenten. Als wäre das alles nicht schon effektiv genug, kommt mit dem in Form einer Passacaglia gestalteten Murder-Motiv dann noch das verstörendste Element des Scores ins Spiel, in welchem sich Leonas stetig wachsende Verzweiflung und Panik manifestiert. Leider ist ausgerechnet das wahrlich blutgefrierende Finale hier nicht mit dabei. Wer das erleben möchte, muss auf die in den 1980er-Jahren aufgenommene, recht ordentliche Passacaglia for Orchestraauf der Varèse-Scheibe «Legends of Hollywood, Franz Waxman Volume One» zurückgreifen.

Für William Wylers eindringlichen Home-Invasion-Streifen The Desperate Hours‒ Humphrey Bogarts zweitletzter Film ‒ traf man mit Gail Kubik eine ungewöhnliche Komponistenwahl. Kubik, der bis dahin nebst Kriegsdokumentationen und ein paar Kurzfilmen lediglich einen Spielfilm vertont hatte und kurz nach The Desperate Hours seine Hollywood-Karriere beendete, beschrieb seinen perkussiven Score mit solistischen Elementen (insbesondere Klavier, Holz- und Blechbläser sowie Snare Drum sind zu erwähnen) als «eine Reihe völlig unvorhersehbarer Klänge; man weiss nie, wann und woher der nächste Ton kommt.» Was Miklós Rózsa zur Bemerkung veranlasste: «Wenn du damit durchkommst, wirst du der Grösste in Hollywood sein.» Nun, Kubik kam nicht durch damit, seine Musik wurde bis auf ein paar Schnipsel aus dem Film entfernt und grösstenteils gar nicht ersetzt, mit Ausnahme des Finales, für das Daniele Amfitheatrof angeheuert wurde. Die Traumfabrik ‒ oder zumindest die, die das Sagen hatten ‒ war noch nicht bereit für solch radikale Experimentierfreude, im Vergleich derer Amfitheatrofs Ersatzmusik, obwohl auch nicht gerade zimperlich, ziemlich gemässigt wirkt. Es wäre höchst interessant gewesen, von diesem eigenwilligen Score ein wenig mehr zu hören als die paar Minuten, die hier präsentiert werden.

Mit 25 Minuten ist von The Scarlet Hour deutlich mehr erhalten geblieben. Bei diesem Film bemühte sich Michael Curtiz vergeblich, aus Carol Ohmart und Tom Tryon, die ein Räuberpärchen spielen, künftige Stars zu machen. Das erfolgreiche Duo Jay Livingston/Ray Evans schrieb hierfür den Song «Never Let Me Go», den Komponist Leith Stevens in seinen Score einzubinden hatte, denn er spielt als vielgestaltige Sourcemusik eine wichtige Rolle, erklingt etwa aus Autoradios, Musikboxen und wird gar in einem Kurzauftritt von Nat King Cole vorgetragen (auf der CD leider nicht enthalten). In diesem Zusammenhang weist Scott Bettencourt in seinem Begleittext auf Robert Altmans The Long Goodbye hin, der dieses Konzept parodiert. Aber im Gegensatz zu John Williams darf sich Stevens auch im nicht auf den Song limitierten, dramatischen Bereich austoben, was zu respektablen Ergebnissen führt.

Bedauernswerter Heinz Roemheld. Für knapp 300 Filme hat er laut imdb im Laufe seines Lebens komponiert, äusserst wenig davon wurde bisher veröffentlicht, und auch sein Beitrag auf diesem Album fällt mit nur siebeneinhalb Minuten sehr mager aus. Und wenn wir schon bei traurigen Fakten sind: die meiste Musik, die er für Union Station schrieb, kam aus heute nicht mehr bekannten Gründen gar nicht zum Einsatz, was einigermassen erstaunt, wenn man das hier Präsentierte hört. Roemheld, der u. a. etliche Humphrey-Bogart-Filme vertonte, darunter auch solche, wo dieser noch als Nebenrollen-Fiesling eingesetzt wurde, weiss genau, wie der Film-Noir-Hase läuft und beweist das hier in erster Linie mit seiner unter die Haut gehende, ebenso brachialen wie brillianten Musik für eine Verfolgungsjagd. Die macht eindeutig Lust auf mehr Roemheld.

Byron Haskins I Walk Alone ist der erste gemeinsame Film von Burt Lancaster und Kirk Douglas und zeigt, wie aus einstigen Partnern im Geschäft der illegalen Schnapsbrennerei erbitterte Gegner werden. Der Komponist hierfür ist kein Geringerer als Victor Young, und da von seinem Score immerhin rund 30 Minuten aus den Paramount-Archiven gefischt werden konnten, ergibt sich die Gelegenheit, sich von Youngs veritabler Bandbreite zu überzeugen. Er weiss nicht nur mit erlesener Romantik zu überzeugen, sondern zeigt sich auch versiert in der Handhabung derer Kehrseite. Im Mittelpunkt steht ein exquisites Liebesthema, das viel Raum zur Entfaltung erhält, aber immer wieder von musikalisch vorzüglich umgesetzten, dramatischen Ereignissen überschattet wird. Wie Leith Stevens in The Scarlet Hours, musste sich auch Young mit einem Originalsong herumschlagen, wenn auch nicht ganz so exzessiv wie Stevens. Dabei handelt es sich um «Don’t Call It Love» aus der Feder von Ned Washington und Allie Wrubel. Mit Victor Youngs sehr ansprechendem Score erhält die Kollektion einen würdigen Abschluss.

Diese von Intrada in Zusammenarbeit mit Lukas Kendall entstandene Veröffentlichung hat einen beträchtlichen Repertoirewert, zumindest solange, bis von dem ein oder anderen der darauf enthaltenen Scores vielleicht plötzlich doch noch mehr brauchbare Elemente auftauchen. Sie dürfte deshalb für Golden-Age-Fans im Allgemeinen und Miklós-Rózsa-Anhänger im Speziellen unverzichtbar sein. Wer hätte noch vor ein paar Monaten gedacht, die beiden Wilder-/Rózsa-Noir-Klassiker Double Indemnity und The Lost Weekend bald im Original in den Händen halten zu können? Mein Daumen jedenfalls geht ganz hurtig nach oben.

Andi, 1.2.2016