Dial M for Murder

Mitte der 1950er-Jahre lief Alfred Hitchcocks Vertrag bei Warner Brothers aus, lediglich einen Film hatte der Master of Suspense für das Studio noch abzuliefern. Da kam es ihm zupass, dass WB die Rechte für Frederick Knotts Broadway-Hit DIAL M FOR MURDER erwarb; ein Stoff, der für ihn geradezu massgeschneidert war. Dass seine Arbeitgeber darauf bestanden, dass der Film im damals erstmals aufkommenden 3-D-Verfahren aufgenommen werden sollte, schmeckte dem Regisseur zwar nicht besonders, doch da er innovativen Filmtechniken gegenüber stets aufgeschlossen war, dürfte er diese Herausforderung doch nicht ganz ungern angenommen haben.

In der Story von Knott, der sein Werk selbst für die Leinwand adaptierte, geht es um Ex-Tennisspieler Tony Wendice (Ray Milland), der, als er Wind von der Liebesaffäre seiner Gattin Margot (Grace Kelly) mit Mark Halliday (Robert Cummings) bekommt, sie von einem flüchtigen, jedoch bestechbaren Bekannten (Anthony Dawson) beseitigen lassen will, um an ihr Vermögen zu kommen. Sein perfekt ausgeklügelter Plan geht allerdings schief, da statt Margot der gedungene Mörder ins Gras beisst.

Hitchcock hielt nicht viel von DIAL M FOR MURDER, doch dieser kleine, aber feine Film ist ein weiteres Vermächtnis seiner Gabe, selbst in praktisch einer einzigen Kulisse und mit kleiner Besetzung unheimliche Spannung zu erzeugen. Dazu tragen die durchwegs grossartigen Schauspieler das ihrige bei. Milland liefert in einer Glanzleistung als zwar aalglatter, aber gleichzeitig doch ungemein charmanter Tony genau das, was der manipulative Regisseur bezweckt, nämlich die Sympathie des Zuschauers für den Bösewicht. Kelly glänzt als naive und ahnungslose Margot, die von der Situation überfordert ist, Cummings sorgt als Krimiautor, der in seinem Eifer unbewusst dem Plan von Tony auf der Spur ist, für Brisanz, und der englische Charakterdarsteller John Williams hat als schlitzohriger und für Margot väterlicher Chief Inspector Hubbard den vielleicht markantesten Auftritt seiner Karriere.

Für Dimitri Tiomkin, der zum vierten und letzten Mal mit Hitch zusammenarbeitete, dürfte DIAL M FOR MURDER eine echte Herausforderung gewesen sein. Zwar hatte er ‒ sehr überraschend für einen Film dieser Grössenordnung ‒ ein Ensemble zur Verfügung, das aus gegen 100 Instrumenten bestand ‒ aber wie wird man einem verfilmten Theaterstück, das kammerspielartig inszeniert ist und zur Hauptsache aus Dialogen besteht, musikalisch gerecht? Man nimmt zunächst das Element mit dem grössten dramatischen Potenzial ins Visier, das Mordkomplott, und da hierbei das präzise Timing eine entscheidende Rolle spielt, baut Tiomkin als auffälligsten Bestandteil clever ein tickendes Motiv in seine Musik ein, das so ein klein wenig auch als Thema für Tony betrachtet werden kann. Es sorgt für eine nervöse Atmosphäre und fingernägelkauende Spannung in «Swann the Intruder», geht in «Dial M for Murder» in typischer Tiomkin-Manier über in den vor Dramatik beinahe berstenden Höhepunkt des Scores, hat einen hektischen und vorwärtsdrängenden Auftritt in «Forensics» und hallt noch lange nach dem verhängnisvollen Ereignis immer wieder nach.

Das Hauptthema ‒ als schwungvoller Walzer eingeführt ‒ symbolisiert sowohl die Beziehung von Margot zu Tony als auch ihre Romanze mit Mark. Zu Beginn noch sorglos, verspielt und heiter, legen sich bald schon Schatten über dieses Thema, mit dem Tiomkin im Laufe des Scores stimmungsmässig viel anzufangen weiss. Mit kleinen Nebenthemen und Motiven sowie dramatischen Momenten (etwa züngelnde Flammen nachahmend, wenn Tony Beweismaterial im Kamin verbrennt) hält er die Musik stets am Leben. Und mit Hubbard kommen dann noch ein wenig Würde, Besonnenheit und Einfühlungsvermögen mit ins Spiel, so dass sich im Endeffekt ein recht ausgewogener Score präsentiert, der sich kaum in Langeweile verliert, aber auch nicht ‒ was bei Tiomkin schon mal vorkommen kann ‒ unnötig überbordet.

In den Extras finden sich nebst Zusatzmaterial zu DIAL M FOR MURDER auch rund acht Minuten aus STRANGERS ON A TRAIN, bestehend aus «Main Title & Approaching The Train», «The Tennis Game/The Cigarette Lighter» und «Finale». Dabei handelt es sich um die abgespeckte Version einer Suite, die Charles Ketcham mit dem Utah Symphony Orchestra 1990 für Varèse eingespielt hat, und im Vergleich dazu kommt sie zeitweise ein wenig flügellahm daher.

Doch abgesehen davon ist Intradas erstes Kickstarter-Projekt ausgezeichnet ausgefallen. Anna und William Stromberg, die erstmals seit dem eingegangenen Tribute-Label wieder aktiv wurden und gemeinsam mit Patrick Russ Tiomkins Musik rekonstruiert haben, feiern einen beeindruckenden Einstand bei Intrada, und unter William Stromberg läuft das Royal Scottish National Orchestra zu Hochform auf. Die Covergestaltung von Jim Titus gefällt durch ihre Anlehnung an die Originalposter, ohne diese jedoch einfach nur zu kopieren. Damit ist die Neueinspielung des kompletten Scores zu DIAL M FOR MURDER eine rundum geglückte Sache und ein würdiges Andenken an alle, die am Film beteiligt waren.

Andi, 1.2.2020

DIAL M FOR MURDER

Dimitri Tiomkin

Intrada INT 7157

65:01 Min.
15 Tracks