Continente Perduto

Angelo Francesco Lavagnino

Alhambra A 8994

58:39 Min. / 16 Tracks

Limitiert auf 500 Stück

1955 erschien ein Film, der das Kinoerlebnis unserer südlichen Nachbarn zumindest bezüglich einheimischen Filmschaffens revolutionierte: Continente Perduto war die erste italienische Produktion, die in Farbe und Cinemascope sowie im 4-Kanal-Stereoklang genossen werden konnte und damit zu einem der kassenträchtigsten und einflussreichsten Dokumentarfilme des Landes wurde. Darüberhinaus wurde die visuelle Kraft des Filmes ‒ der an mehreren Filmfestivals Preise einheimsen konnte ‒ von der Kritik hoch gelobt.

Für Angelo Francesco Lavagnino hatte Continente Perduto zeitlebens einen speziellen Platz in seinem Herzen, was zweifellos dem besonderen Entstehungsprozess dieser Musik geschuldet ist. Er durfte nämlich mit der gesamten Filmcrew während eines halben Jahres die Inselwelten Indonesiens und Malaysias bereisen und machte dabei nicht nur Bekanntschaft mit den zum Teil eigenartigen Sitten und Gebräuchen der Einwohner, sondern studierte vor allem ausgiebig die lokale Gamelonmusik, die er dann später zwar nicht authentisch wiedergab, aber mit viel Fantasie einem traditionellen Sinfonieorchester als exotische Bereicherung hinzufügte. Der ebenso farbenprächtige wie abwechslungsreiche, mit innovativen Klang- und Aufnahmetechniken versehene Score entstand in einer unglaublichen Zeitspanne von gerade mal zehn Tagen.

Viel Kreativität steckt im Hauptthema, das Lavagnino als Thema und Variationen verarbeitet. Dramatisch und mit Chor im Main Title, zeigt es sich ‒ mit Glocken und Holzbläsern ‒ im sinnlichen Wedding, mit tiefem, meditativen Gesang in Temples, pastoral in Rice Fields, und entwickelt sich schliesslich, mit romantischer Chorbegleitung, zum schwelgerischen Love Theme, das zwar ein wenig Südsee-Klischees bedient, aber nichtsdestotrotz beispielhaft ist für den begnadeten Melodiker Lavagnino.

In Sachen Chor sei auch der in Ehrfurcht versunkene Gesang in Dressing Of A Novice erwähnt sowie die experimentelleren, teils qualvollen, teils rituellen Stimmen in Volcanos / The House Of God, die auf ähnliche Art und Weise Mario Nascimbene ein paar Jahre später für Barabbas verwendet hat. Genau so vielfältig wie im choralen, ist die Musik auch im instrumentalen Bereich. Im raffinierten Stelldichein von Ost und West werden beide Kulturen wundervoll miteinander verwoben und in erlesenen Klängen wiedergegeben. Kunstvolles ethnisches Schlagzeug sowie auf- und absteigende Holzbläser ‒ ein Markenzeichen des Komponisten ‒ tragen das ihrige bei zu einem Score, der es versteht, alle Sinne anzuregen.

Was diese Alhambra-CD neben der qualitätvollen Musik zu einem besonderen Ereignis macht ist die Tatsache, dass der komplette Score in Stereo präsentiert werden kann, und das ist für eine italienische Filmmusik dieses Jahrgangs eine wahre Rarität. John Elborg und Stefan Schlegel (der auch die Liner Notes verfasste) haben mit ihrem Engagement ein Juwel zu Tage gefördert, das zu Recht schon vielerorts auf sehr positives Echo stiess, insbesondere auch bei amerikanischen Filmmusikproduzenten wie John Morgan, David Schecter und Bruce Kimmel, der im Vergleich dazu wegen seiner kürzlichen, recht vermurksten Lavagnino-Veröffentlichung Legend Of The Losteigentlich für eine Weile beschämt in die Ecke stehen sollte. Zu danken ist aber auch den Lavagnino-Töchtern, die Willens waren, dem rührigen Label nach L’Impero del Sole ein weiteres Werk ihres Vaters ‒ dem hoffentlich noch weitere folgen werden ‒ zugänglich zu machen.

Andi, 9.7.2010