A Week with James Horner (3)

A Playlist with Music by James Horner – Teil II

von Basil Böhni

Heute jährt sich der Tod von James Horner (14. August 1953 – 22. Juni 2015) zum fünften Mal. Dies nehme ich – ein Horner-Enthusiast seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre – zum Anlass, mir mal wieder eine Extradosis seines umfassenden Filmmusikschaffens zu gönnen. Mit diesem Artikel möchte ich einige Einzelstücke aus der Feder Horners hervorheben, die ich mir besonders gerne und oft anhöre – dazu zählen vielgepriesene Fan-Favoriten sowie allenfalls auch ein paar Überraschungen. Die nachfolgende Playlist ist chronologisch geordnet, wobei es sich hierbei um den 2. Teil diese Serie handelt. Der 1. Teil mit Einzelstücken von 1985 bis 1996 kann hier eingesehen und gelesen werden.

Den 2. Teil dieser Playlist eröffne ich mit der wohl bekanntesten – ja, gar ikonischen – Filmmusik von James Horner: TITANC (1997). Als der Film damals in die Kinos kam, hat er mich schlicht umgehauen (guilty as charged). Mehrmalige Kinobesuche sind erfolgt und die Filmmusik drehte stundenlang im CD-Player. Sogar an den von Hal Leonard publizierten «Piano Solo»-Arrangements habe ich mich versucht… mit der Zeit hat der TITANIC-Hype auch bei mir nachgelassen. Das Interesse an Horners Schaffen ist indes sprunghaft angestiegen. Inzwischen höre ich mir viele andere Horner-Alben deutlich öfters an, als dass ich zu TITANIC zurückkehre. Für diese Playlist-Schreibarbeit habe ich mir jedoch natürlich auch TITANIC wieder angehört und die einzelnen Themen sitzen immer noch hartnäckig im Ohr. Aber ich muss zugeben, dass der Score, so wie er für den Film geschrieben und aufgenommen wurde, meiner Meinung nach «deutlich ins Alter» gekommen ist. Horner hat bewusst entschieden, dass er eine «New Age Feel»-Musik mit viel Synthi und Sologesang von Sissel komponieren wollte: «The Color that I decided to go with was primarily synths and vocals, because I could do so much with them. […] That is how I came up with the idea of the sounds that I used, and why so much of it is synth- and vocal-based as opposed to orchestral», reflektierte Horner 1998 für den «Hollywood Reporter».

Wie Synthi-lastig die Filmmusik tatsächlich ist, hatte ich zu meinem Erstaunen tatsächlich nicht mehr richtig in Erinnerung – wahrscheinlich auch deswegen, weil ich TITANIC in den letzten Jahren fast ausschliesslich und mehrmals als Live-Erlebnis im Konzertsaal mit Orchester, Chor und Solisten gehört hatte. Dort rückt die Rolle der Synthi-Klänge in den Hintergrund. Sprich, als ich mir das erste TITANIC-Album wieder anhörte, war ich fast schon etwas entsetzt. Das klang doch mal anders, oder nicht? Eigentlich wollte ich für diese Playlist «Southampton» oder «Take Her to Sea, Mr. Murdoch» wählen, doch schliesslich entschied ich mich für die 1998 mit dem London Symphony Orchestra, dem Choristers of King’s College und den Solisten Sissel und Eric Rigler neu aufgenommene «Titanic Suite». Dies ist zwar kein eigentlicher Score-Track, aber von der Qualität her für mich zwischenzeitlich definitiv am stimmigsten. In dieser Form hören sich für mich die Musikthemen einfach überzeugender an – auch wenn ich damit das «historische Erbe» in der Originalversion dieser New-Age-Musik von Horner quasi ignoriere… Dass diese Suite keine Action-Musik beinhaltet, finde ich zwar misslich, da ihr ein beachtlicher Anteil an der Filmmusik zukommt, doch dies reflektiert wohl das hauptsächliche Interesse von James Horner. «I wasn’t interested, funnily enough, in all the big disaster stuff. The ship sinking, the spectacle; the orchestral music I put against it, I always felt would play by itself», sagte James Horner in Bezug auf die Album-Präsentation seiner Musik für die erste Soundtrack-Veröffentlichung. Hieraus könnte sich erklären, weshalb Horner 1998 die Action-Musik in seiner neu auskomponierten «Titanic Suite» aussenvor gelassen hatte. Doch abgesehen von diesem Manko präsentiert die Suite die melancholischen (0:00 bis 5:00) wie auch erhabenen und kraftvollen Momente (5:00 bis 10:09) der TITANIC-Musik gelungen und in schwelgerischem, noblem Tempo. Zudem erhält das Liebesthema/«Rose» ab der 14. Minute poetische, intime und kraftvolle Darbietungen. In dieser orchestralen Form mögen diese weltberühmten Klänge in meine Ohren gerne nachhallen.

Während das TITANIC-Soundtrack-Album und der Dion-Song während Wochen – scheinbar «unsinkbar» – in den Charts obenauf schwammen, tüftelte James Horner an seinen nächsten Kompositionen – darunter auch THE MASK OF ZORRO (1998) von Regisseur Martin Campbell (*1943), einer seiner verspieltesten Scores. Statt Uilleann Pipe und irischer Gesang rückte er Gitarren, Kastagnetten, Handklatschen und Flamenco-Tanz-Rhythmen ins Zentrum. Diese Elemente mischte er mit seiner dramatischen Schreibe für Streicher und mit knalligem, kraftvollem Blech. THE MASK OF ZORRO ist einfach grossartig – die Musik porträtiert die Abenteuerlust, den Schalk und das sonnendurchtränkte Gebiet Alta California perfekt. Während sich diese Horner-Arbeit allem voran wegen ihrer Verspieltheit und dem hohen Spassfaktor grosser Beliebtheit erfreut, höre ich mir hier besonders gerne das dramatische Stück «Elena and Esperanza» an. Den Spassfaktor kann man noch frenetischer in THE LEGEND OF ZORRO (2005) geniessen, doch mangelt es der Fortsetzungsarbeit an solch bedrückend-epischer Dramatik wie hier in diesem Stück, wie ich finde.

In «Elena and Esperanza» präsentiert James Horner sein Thema für Elena, das letztlich das Liebesthema wird. In Horners eigenen Worten (aus einem Interview von 2005): «THE MASK OF ZORRO is a movie about Elena. True, there’s a theme for Zorro but, if you listen closely, it’s a bridge to Elena’s theme. […] I decided she needed to have her own theme. So I brought in a guitar that played the first notes of ‹Frère Jacques›. It’s a lullaby I learnt while studying music and I love it because it is as simple as it is universal. Then I developed all the bridging material that leads to ‹I Want To Spend My Lifetime Loving You›. I thought this thematic material that surrounds Elena was essential, because it follows her throughout the movie but especially because it gave way to all kinds of delicate variations, like in ‹Elena and Esperanza›. You don’t see Catherine Zeta-Jones in this sequence, and yet it’s all about her, and right from the exposition scenes, I wanted the music to explain what the next two hours were going to be about. The cue needed chromaticism and various crescendos on the way to either peace or anguish. I also liked the way torment and beauty were expressed through the gloomy orchestrations of the atonal section as opposed to the eloquence of the modal part. It’s hard to put into words, but these moments were among the finest of the movie.»

Während «Elena and Esperanza» ruhig und friedlich beginnt – der Film zeigt Zorro, wie er nach seiner «Plaza of Execution»-Aktion zu seiner Frau Esperanza und seiner Tochter Elena nach Hause kommt –, entwickelt sich das Stück zusammen mit dem Eintreffen des Bösewichts Montero und dessen Soldaten hin zu bedrückender, kraftvoller Dramatik. Es kommt zu einer Auseinandersetzung, in der Esperanza erschossen wird. Zorro muss, in eine Gefängniskutsche eingesperrt, zusehen, wie sein Anwesen in Brand gesteckt wird und Montero mit seiner Tochter davonzieht. Diese Sequenz porträtiert Zorros Familienglück und wie es innert acht gezeigten Minuten zerstört wird – untermalt ab 5:20 und insbesondere ab 7:03 von protestierendem Blech, anschwellenden Streichern und letztlich gar von aufheulendem Shakuhachi-Spiel.

Das Schaffensjahr 1998 beendete James Horner mit seiner Filmmusik zum Disney-Film MIGHTY JOE YOUNG von Regisseur Ron Underwood (*1953). Dem Film war nicht allzu viel Erfolg beschieden. Er wurde für seine Spezialeffekte gelobt, doch kritisierte man Disney für das auf einen Kinderfilm ausgerichtete Marketing, obwohl der Film heftige Jagd- und Verfolgungsszenen beinhaltete. An Action-Musik mangelt es denn auch in Horners Musik nicht und hier bewegt sich Horner meist auf bekannten Pfaden, was die Filmmusik-Community etwas enttäuschte – man war wohl noch von ZORRO verwöhnt. Mir persönlich gefällt das Hauptthema wie auch das ausgeprägte Perkussionsspiel sehr gut und die Adaption des Titelthemas in den abschliessenden «Windsong» ging mir bereits nach dem ersten Hören nicht mehr aus den Ohren. Für dieses abschliessende Highlight konnte sich Horner die Unterstützung von Sänger Lebo M sichern, der den Songtext von Will Jennings in die Bantusprache Suaheli übersetzte und diese Texte dann mit dem Hollywood Film Chorale einstudierte. Neben diesem Suaheli-Chorgesang mischt Horner akzentuierte Perkussion in sein Orchesterspiel. Das Ergebnis präsentiert das Hauptthema anfänglich mit Orchester, ab 1:45 setzt der Chor und ab 3:20 noch Sologesang mit ein, wobei mir besonders dieses Zusammenspiel aus Chor und Gesangssoli wirklich gut gefällt. Ab der 5. Minute steht wieder Kazu Matsui mit seinem Flötenspiel dem Orchester vor. Thematisch geschieht während diesem knapp 10-minütigen Score-Finale nicht viel mehr, als dass das Hauptthema in verschiedenen Variationen präsentiert wird – dies aber mit viel Gefühl und in passendem Klanggewand.

Das Jahr 1999 war für James Horner verhältnismässig ruhig. Hätte John Williams das Projekt BICENTENNIAL MAN des Regisseurs Chris Columbus (*1958) nicht wegen angeblichen zeitlichen Engpässen verlassen müssen, wäre im Jahr vor dem Millenniumswechsel allenfalls gar keine Musik von Horner erschienen. Doch mit Williams’ Abgang wendeten sich die Filmproduzenten an Horner und dieser lieferte eine unverblümt emotionale, melancholisch-süsse Filmmusik. Grundsätzlich eine gelungene Arbeit, wäre da nicht die Tatsache, dass er für BICENTENNIAL MAN knapp ein Dutzend alte Themen, Melodien und Orchestrationsideen mehr oder weniger unverändert wiederverwendet hatte. Sprich, hier klingt für den Horner-Kenner fast alles nach Déjà-vu. Nichtsdestotrotz gehört für mich das Stück «The Machine Age» in meine Playlist. In den Grundzügen greift Horner für dieses Eröffnungsstück eine kompositorische Idee auf, die er vorgängig bereits in SNEAKERS (1992) und danach in SEARCHING FOR BOBBY FISCHER (1993) zur Anwendung gebracht hatte. Zudem eröffnet eine Variation hiervon auch seine später folgende Filmmusik zu A BEAUTIFUL MIND (2001). Wie er mit dieser kompositorischen Idee hier in BICENTENNIAL MAN das «Maschinenzeitalter» mit rhythmischem, stetig schneller werdendem Klavierspiel, Perkussion und Blech – allesamt maschinelle Metrik imitierend – einläutet, ist wunderbar anzuhören. Zu diesem «technischen» Effekt kommt, dass sich die Orchestrierung und die Klangfarben von einem träumerischen Anfang in eine regelrechte Euphorie steigern, die am Ende des Stücks abzuheben scheint. Ein Horner-Klassiker!

Das neue Jahrtausend eröffnete James Horner mit einem regelrechten Orchestersturm. Seine Filmmusik zu Wolfgang Petersens (*1941) THE PERFECT STORM (2000) erachte ich als eine seiner beeindruckendsten Action-Kompositionen, wobei ich mir «Little Victories» besonders gerne anhöre. Im Film wird diese dichte, vielschichtige Musik leider immer wieder richtiggehend sträflich von den überlauten Soundeffekten weggespült. Während «Small Victories» kämpft die fünfköpfige Besatzung des Fischerboots Andrea Gail gegen das vom Sturm gepeitschte Meer und dessen meterhohen Wellen. Das Konzept, das Horner hier anwendet ist eigentlich simpel: er wiegt die beiden Hauptthemen in einem kraftvollen Kampf gegeneinander auf. Bereits zu Beginn des Albums präsentiert er ein Musikthema für die Besatzung der Andrea Gail (im grösseren Kontext für die Menschen generell) und ein zweites Thema für das Meer (die Natur). Im Verlauf des Films – wie es der Titel nahelegt – zeigt sich das Meer von seiner erbarmungslosen Seite und alle in Seenot geratenen Menschen wehren sich mit allen verfügbaren Kräften in ihren Booten oder in Helikoptern und Flugzeugen gegen die haushohen Wellen und die Sturmwinde. «Small Victories» fokussiert auf die Andrea Gail und deren Besatzung. Die stürmische See spielt dem Fischerboot schon übel mit, doch dann löst sich auch noch eine Art seitlicher Krahn mit einem sich daran befindlichen Anker (oder so etwas ähnliches). Jedenfalls fliegt der Besatzung dieses mörderische, metallene Teil gefährlich nahe um die Ohren und zerstört dabei die Führerkabine und wichtiges Mobiliar, weshalb der Captain beschliesst, in einer halsbrecherischen Aktion den Anker mit Lötkolben von der Kette abzutrennen – was ihm denn auch gelingt. Doch Mitten im Gefecht geht dann wiederum der Antennenmasten verlustig. Sprich, das Meer nimmt die Andrea Gail Stück um Stück auseinander und die Männer schlucken viel Meerwasser, wehren sich jedoch beständig. Horner fängt diesen Kampf zwischen der Besatzung und dem tosenden Meer mit seiner unnachgiebigen Action-Musik perfekt ein – die Streicherfiguren heben und senken sich pausenlos – wie die Sturmwellen –, das Blech stimmt immer mal wieder zu kurzen, siegreichen Themenstatements an, nur um mit der nächsten Welle wieder «von Deck gespült» zu werden. Was mich an der Action-Musik für THE PERFECT STORM so begeistert, ist, dass sie nicht einfach laut und aggressiv ist, sondern dass sie dank den immer präsenten Themenstatements melodiös bleibt und ihr die Kraft zu keinem Zeitpunkt ausgeht.

Die erste Zusammenarbeit mit Regisseur Jean-Jacques Annaud (*1943) endete für James Horner mit einer Enttäuschung. Nachdem Annaud angeblich einige seiner Stücke für THE NAME OF THE ROSE (1986) aus dem Film rausgeworfen und andere Stücke im Film umplatziert hatte, soll sich Horner, ohne auf Wiedersehen gesagt zu haben, von der Produktion entfernt haben. Zu einem Wiedersehen ist es glücklicherweise dennoch gekommen: im Jahr 2000 in München. Annaud steckte in der Post-Produktion von ENEMY AT THE GATES (2001) und Horner soll zufälligerweise auch in München gewesen sein. Annaud erinnerte sich in einem Interview 2001, dass sie sich fast jeden Abend getroffen hätten und zusammen Konzerte besuchten. Sie hätten viel über Musik gesprochen und so ihre Arbeitsbeziehung wieder aufnehmen können. Ende Oktober bis anfangs November hat Horner in den Abbey Road Studios seine Musik für ENEMY AT THE GATES aufgenommen – mit Orchester und Chor gemeinsam im proppenvollen Studio. Das Ergebnis erntet seither immer wieder Kritik für Horners Annäherung an Sergei Prokofjew (1891–1953), Dmitri Schostakowitsch (1906–1975), die Omnipräsenz seines Vier-Noten-Gefahrenmotives (dessen Verwendung Annaud offiziell abgesegnet habe) und die Nähe seines Hauptthemas zu John Williams’ weltberühmten Melodie für SCHINDLER’S LIST (1995). Während der mittlere Albumteil seine Längen hat, finde ich das erste und die letzten drei Stücke – zusammen bereits mehr als 40 Minuten Musik – indes absolut hervorragend. Das 11-minütige Stück «Betrayal» höre ich mir besonders gerne an.

Während diesen 11 Minuten liefert James Horner eine gewaltig Tour-de-Force, die ich dem noch längeren, eröffnenden «The River Crossing to Stalingrad» deshalb vorziehe, weil das Liebesthema in Sachen Pomp und Dramatik in «Betrayal» ab 9:15 schlicht umwerfend ist. Während der Anfang des Stücks im Film «zerteilt» wurde, spielt «Betrayal» ab 4:44 durch, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Ein «Protokoll»:

Zum intimen Liebesthema-Statement ab 4:44 liegen sich Vassili und Tania, zwei Angehörige der Roten Armee, in einer Kriegsruine in den Armen und erinnern sich, wie sie sich erstmals in einem Zug nach Stalingrad (die Eröffnung des Films) gesehen hatten. Doch plötzlich springt Tania auf (ab 6:51), denn als ihr Blick auf die horrende, zerstörte Landschaft ausserhalb ihres sicheren Ruinenplätzchens schweift (6:48), erkennt sie in der Ferne zwischen den Häuserruinen ein Kind, das an einer Stahlverstrebung aufgehängt wurde. Sie fürchtet, dass es sich dabei um Sacha handelt. Mit Sacha und seiner Mutter pflegte Tania einen familiären Umgang. Als sich ihr Verdacht per Fernglas-Blick bestätigt und sie den toten, demonstrativ hingerichteten Sacha erspähen muss, setzt Horner in seiner Musik mit metallenen Perkussionsschlägen und lauten Statements seines hier überpräsenten Gefahrenmotives einen heftigen musikalischen Akzent (6:57). Ausser sich vor Wut und Trauer will Tania sofort ihr Gewehr ergreifen und aus der sicheren Ruinendeckung stürmen, um Sachas Tod zu rächen. Hinter diesem vermutet sie den deutschen Scharfschützen Major König. Doch Vassili hält sie zurück, denn er erkennt in diesem Setup eine bewusste Falle von König, der damit ein impulsives Verlassen der Deckung provozieren will. Draussen zwischen den Häuserruinen wäre Tania wohl rasch ebenso des Todes. Er verspricht ihr, dass er Sachas Tod mit einer gezielten Scharfschützen-Attacke auf König rächen und ihr Königs Scharfschützen-Gewehr als Beweis bringen werde. Sie solle zwischenzeitlich die Mutter von Sacha von der Evakuation per Boot über die Wolga überzeugen. Tania spurtet durch Schützengräben zu Danilov (Horner liefert hierzu mächtigen russischen Choral ab 7:26) – ein Leutnant der Roten Armee und Freund von Vassili und ihr (bzw. kein Freund mehr, denn zwischenzeitlich hat Danilov Vassili bei der Spitze der Roten Armee verunglimpft, aus Rache dafür, dass Vassili Tanias Liebe gewonnen hat und nicht er, der ebenfalls in Tania verliebt ist; Tania weiss dies zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht). Sie erzählt ihm von Sachas Schicksal und bittet ihn um Hilfe bezüglich der Evakuation der Mutter von Sacha. Zusammen eilen sie zu Sachas Mutter, die eine Evakuation jedoch ausschlägt, solange ihr Sohn hier sei. Danilov sagt dann, dass er ihr etwas Trauriges mitzuteilen habe (ab 7:53) – Tania befürchtet, dass er ihr vom Tod ihres Sohnes erzählt, was die Mutter gänzlich resignieren lassen würde. Doch Danilov sagt ihr, dass Sacha zum deutschen Feind übergelaufen sei und nun den Deutschen helfe. Die Mutter ist zwar schockiert, doch glaubt sie damit Sacha in Sicherheit, denn die Deutschen gewinnen in der Schlacht um Stalingrad stetig an Terrain. Tania ist Danilov für diese Lüge sehr dankbar, denn damit willigt Sachas Mutter zur Evakuation ein. Zusammen begeben sich die drei zu den Booten am Flussufer der Wolga (ab 9:17), wo erneut Bombenhagel einsetzt. Tania wird getroffen (9:31), weshalb sie ebenfalls zusammen mit Sachas Mutter über die Wolga gebracht werden soll – weg von Vassili, was Danilov grundsätzlich freut, doch gleichzeitig wird ihm auch die Tragweite seines Verrats an Vassili bewusst (ab 9:45). Während Tania auf einer Sanitätsbare auf eines der Schiffe verladen wird, heftet Sachas Mutter noch eine Handnotiz an einen hölzernen Telefonmasten. Die Notiz ist an ihren Sacha gerichtet. Sie schreibt, dass sie über die Wolga in Sicherheit gebracht worden sei und dass sie ihm alles Gute wünsche («Keep well my Sacha»). Mit Kamerafokus auf diesen Satz auf Papier klingt «Betrayal» aus.

Das Schaffensjahr 2001 liess James Horner dann auf ganz anderem Ton ausklingen. Für A BEAUTIFUL MIND (2001), die fünfte Zusammenarbeit mit Regisseur Ron Howard (*1954), tauchte er ein in das Leben des amerikanischen Mathematikers und Nobelpreisträgers John Forbes Nash, Jr. (1928–2015). Nash litt jahrelang an einer Form paranoider Schizophrenie, der er jedoch dank Therapie und der Unterstützung seiner starken Frau Alicia, wie er selbst gesagt haben soll, Herr werden konnte. Mit Alicia war Nash zwei Mal verheiratet und sie sind denn auch 2015 zusammen in einem tragischen Autounfall gestorben – in einem Taxi auf dem Heimweg von der Verleihung des Abel-Preises. Doch A BEAUTIFUL MIND beendet seine Erzählung mit der Rückkehr von Nash an die Princeton-Universität und mit der Nobelpreisverleihung 1994. Für dieses letzte Drittel des Films schuf James Horner harmonische, melancholische Klänge. Dieses «orchestrale Aufblühen», das Nashs «geistige Genesung» begleitet, ist regelrecht erholsam anzuhören, da Horners Musik im mittleren Teil des Albums mit vielen dunklen, bedrückenden Klangfarben Nashs Wegdriften in seine sich verfinsternde Psyche begleitet. Man könnte aus diesem letzten Albumdrittel so ziemlich jedes Stück für eine Playlist auswählen – in diesem Falle soll es «Saying Goodbye to Those You So Love» sein. In dieser Sequenz verabschiedet sich Nash auf einem Flur im Universitätsgebäude von seinen imaginären Freunden – dem gleichaltrige Charles und dem kleinen, weinenden Mädchen Marcee – und drückt ihnen sein Bedauern aus, dass er sie von nun an ignorieren müsse.

Die Musik zu THE FOUR FEATHERS (2002) von Regisseur Shekhar Kapur (*1945) sticht für mich aus zwei Gründen aus James Horners Œuvre heraus: der Qawwali-Gesang von Rahat Nusrat Fateh Ali Khan (*1974) und das massive Perkussions-Arsenal, mit dem Horner hier seine Orchesterkompositionen effektvoll und einzigartig ausweitet. Seine Musik zu THE FOUR FEATHERS ist ein Kampf zwischen westlichen, bekannten Orchesterklängen und teils harscher weltlicher Musik mit sudanesischen Einflüssen. Dieses Konzept macht Sinn, denn der Film spielt vor dem historischen Hintergrund des sogenannten Mahdi-Aufstandes im Sudan in den 1880er Jahren. Der jungen Offizier Harry Feversham reicht im Viktorianischen Zeitalter kurz vor dem Abmarsch seiner Einheit der Britischen Armee in den Sudan seinen Abschied vom Militär ein. Damit wird er, gemäss den damaligen Konventionen, von seinen Freunden als auch von seiner Verlobten als Feigling abgestempelt und geächtet. Als Symbol hierfür schenken sie ihm je eine weisse Feder. Dies kann Harry nicht aus sich sitzen lassen und es folgt ein Selbstfindungsprozess mitten in den kriegerischen Auseinandersetzungen im Sudan und vor den Toren der umkämpften Hauptstadt Khartum. Der Film wurde von den Kritikern zerrissen und die Kinosäle blieben grösstenteils leer. Damit war auch der Musik von James Horner ausserhalb seines Fan-Kreises kaum Aufmerksamkeit beschieden – trotz immensem Produktionsaufwand –, was schade ist, denn Horner liefert hierfür nicht nur romantische Klänge, sondern allem voran auch kompromisslose Action – beides eindrücklich und kraftvoll vereint im 10-minütigen «The Mahdi». Schon nach dem ersten Hören war ich begeistert von der vitalen, dynamischen Perkussion, die man so in keiner anderen Horner-Arbeit zu hören bekommt. Allein neun Musiker sind im Booklet unter «Ethnic Percussion» gelistet und diese dürften hier wohl alle im Einsatz gewesen sein.

«The Mahdi» eröffnet mit dunklen Streichern und militärischem Schlagwerk, bevor ein kleines Regiment der Britischen Armee ins Bild rückt. Die Soldaten befinden sich mitten in der sudanesischen, vor Hitze flimmernden Wüste und sie müssen erkennen, dass sie von einer Überzahl von Mahdi-Kämpfern eingekreist werden. Ab 2:20 beginnt der Angriff, zu dem Horner viel Perkussion und Kahns Gesang «auflaufen lässt». Ab 3:44 kommt dem schon stark dezimierten Regiment eine scheinbar britische Kavallerie zur Hilfe – nobles, kraftvolles Blech blitzt kurz auf (3:55) – und das Gemetzel geht weiter. Ab 5:00 wird Harry in den Reihen der Kavallerie, die sich als verkleidete Mahdi-Kämpfer entpuppt (Harry wurde in deren Dienst gezwungen), auf einem Pferd sichtbar. Einsames Trompetenspiel als Stimme der Briten ringt mit Qawwali-Gesang und der stets treibenden Perkussion im Hintergrund um Dominanz. Ab 7:34 meldet sich das Sinfonieorchester mit viel Pathos und zu Slow-Motion-Szenen auf dem Schlachtfeld zurück. Das Stück klingt mit elegischem Gesang von Khan aus.

Den Abschluss dieses 2. Teils meiner «Playlist» macht das wunderbare Stück «Calling to the Wind» aus James Horners Filmmusik zum Kriegsdrama WINDTALKERS (2002). Als bekannt wurde, dass James Horner mit Regisseur John Woo (*1946) zusammenarbeiten würde, war das mehr als überraschend, denn Woo hat für seine Filme ansonsten eher Remote Control-Komponisten verpflichtet. Dass der Kinostart wegen den tragischen 9/11-Ereignissen um sieben Monate nach hinten verschoben wurde, hat dem Film auch keine breitere Akzeptanz entgegengebracht. Zudem hat Woo den Film mehrmals substanziell umgeschnitten und mit Horners Musik soll er ebenfalls wenig zimperlich umgegangen sein. Kaum ein Stück, wie es hier auf der CD präsentiert wird, ist in dieser Form und an der ursprünglich angedachten Stelle im Film zu hören – wohl mit Ausnahme des abschliessenden «Calling to the Wind». Dieses Stück präsentiert nicht nur das kraftvolle Hauptthema in ganzer Pracht, sondern es beinhaltet auch einige der wenigen Navajo-Musik-Stilismen, die Horner hier vereinzelt eingesetzt hat. Der erste Teil dieses Stücks spielt während eines Navajo-Rituals. Dieses wird vom Navajo Private Ben Yahzee zu Ehren seines verstorbenen Freunds, Marine-Sergeant Joe Enders, zelebriert. Yahzee hat die Kriegsgräuel überlebt, weil Enders sich für ihn geopfert hatte. Zurück bei seiner Familie begibt er sich auf eine majestätische Klippe mitten in der atemberaubenden Landschaft des Monument Valleys und gedenkt mit einer Ehrerbietung seinem Freund. Ab 3:39 lässt Horner das Hauptthema auf der Flöte erklingen, dann wird es von Solo-Horn gespielt – mit etwas mehr Kraft – und mit dem Beginn der End Credits nimmt sich das ganze Orchester diesem wunderbaren Thema an und spielt es ausladend und mit voller Wucht. Die verbleibenden gut vier Minuten fokussieren weiter auf dieser Melodie, wobei Horner das Orchester wieder graduell zurücknimmt, bis am Ende des Stücks nur noch distanziert klingender Navajo-Gesang, Trompete und Flöte in elegischem Spiel zu hören sind.

22.6.2020

< Zu Teil 2: A Week with James Horner (Playlist)
> Zu Teil 4: A Week with James Horner (Playlist)